Ordnung, Überfluss und Zeichenhaftigkeit: Die im Schlossinventar von Angern 1752 unter Raum Nr. 20 dokumentierte Tischwäsche des Generals Christoph Daniel von der Schulenburg ist in ihrem Umfang, ihrer Systematik und ihrer symbolischen Aufladung bemerkenswert. Über zwanzig vollständige Garnituren – bestehend aus Tischtuch und Servietten – sind dort nach Mustern, Zustand, Herkunft und Qualität getrennt aufgelistet. Die Tabelle reicht von feinsten Damasten mit Familienwappen bis zu groben Tüchern für den Dienstgebrauch der Domestiken. Die Struktur der Auflistung macht deutlich, dass Tischtextilien nicht nur Mittel praktischer Sauberkeit oder höfischer Etikette, sondern auch Träger von Status, Repräsentation und symbolischer Ordnung waren.
Hierarchisierung von Stofflichkeit
Die Tischwäsche ist klar hierarchisiert. An oberster Stelle steht eine Damastgarnitur mit dem Schulenburgschen Wappen, bestehend aus einem Tischtuch und 19 Servietten. Weitere Garnituren mit benannten Mustern – Stern-, Blumen-, Gitter-, Dukaten-, Würfel-, Citronen- oder Baummuster – folgen in abgestufter Qualität und Vollständigkeit. Auffällig ist der Anteil symmetrisch-geometrischer Muster (Würfel, Strich, Gitter), der mit dem barocken Ideal der geordneten Haushaltsführung korrespondiert. Baum- oder Blütenmotive ergänzen das Repertoire durch Naturformen, die im 18. Jahrhundert zunehmend mit Tugenden wie Fruchtbarkeit, Harmonie und Ästhetik assoziiert wurden (vgl. Böltken 1992, S. 68–72).
Die Serviettenanzahl variiert zwischen 6 und 21 pro Tuch, was Rückschlüsse auf Tischgrößen und Geselligkeitsformate zulässt. Einzelne Einträge vermerken den schlechten Zustand (z. B. „schlecht“, „alt“, „nicht mehr zu gebrauchen“) – ein Hinweis auf systematische Kontrolle und ökonomisches Haushalten. Auch die klare Trennung zwischen „guten“ Garnituren und Tischtüchern für Domestiken – darunter mehrere stark abgenutzte oder unvollständige Sets – zeigt die soziale Binnenstruktur des Haushalts, in der textile Ausstattung ein Mittel impliziter Disziplinierung war (vgl. Frevert 2009, S. 92).
Symbolik von Mustern und Webtechniken
Damast war im 18. Jahrhundert das bevorzugte Material der höfischen Tischkultur. Das einfarbige, doch durch Lichtfall plastisch wirkende Gewebe erlaubte die Einwebung symbolischer Muster ohne aufdringliche Farbigkeit. Muster wie Dukaten, Sterne oder Zitrusfrüchte hatten keine rein dekorative Funktion, sondern konnten als Anspielung auf Wohlstand, Reinheit oder Gastfreundschaft gelesen werden. Besonders das Schulenburgsche Wappen im Damast diente der Verkörperung von Stand, Legitimation und dynastischer Kontinuität (vgl. Schäfer 1995, S. 183–185).
Auch die Wiederholung geometrischer Muster verweist auf eine visuelle Kontrolle der Fläche, die der barocken Vorstellung eines geordneten, überschaubaren Kosmos entsprach – ein Konzept, das sich in Architektur, Gartenkunst und auch in der Tafelkultur spiegelte (vgl. Warnke 1984, S. 219). Gleichzeitig ließ sich über die Auswahl und Kombination der Tücher der Grad der Repräsentation steuern – je nach Rang der Gäste, Anzahl der Gedecke oder Anlass des Mahls.
Tischwäsche als Ordnungssystem
Die detaillierte Erfassung der Tischwäsche im Inventar ist Ausdruck einer administrativen Ordnungskultur, in der Textilien nicht nur in ihrer Quantität, sondern auch in ihrem Zustand und ihrer Funktion katalogisiert wurden. Dies entspricht einer Praktik der haushaltlichen Selbstvergewisserung, wie sie im aufgeklärten Adel zunehmend Bedeutung gewann. Die Verbindung von symbolischem Gehalt (Wappen, Muster) und praktischer Verwaltung (Signaturen, Gebrauchszustände) macht die Tischwäsche zu einem zentralen Element der „Inszenierung des Alltags“ (Koselleck 1988, S. 295).
Auch die Übergänge zwischen Repräsentationsbereich und Dienstbereich lassen sich am Textilbestand ablesen: Die letzten Einträge im Inventar listen explizit abgewertete Stücke für das Gesinde – etwa Tischtücher mit beschädigten Mustern oder Servietten mit Gebrauchsspuren. Die Fähigkeit, textile Qualitäten zu unterscheiden und differenziert einzusetzen, gehörte zur Kulturtechnik des adligen Hauswesens.
Fazit
Die Tischwäsche des Christoph Daniel von der Schulenburg war weit mehr als praktisches Tafelinventar. Sie war Teil einer komplexen Ordnung symbolischer Kommunikation, in der Stoff, Muster, Zahl und Gebrauch miteinander verwoben waren. Ihre sorgfältige Registrierung bezeugt den Anspruch, Haushalt, Status und soziale Rollen über textile Medien zu strukturieren und sichtbar zu machen. In ihrer Summe gibt die Wäscheausstattung somit nicht nur Auskunft über den gedeckten Tisch, sondern über die mentalen Modelle einer Zeit, in der Kleidung und Gegenstände – bis ins Leinentuch – als Verlängerung des Standes galten.
Literatur
- Böltken, Barbara: Muster – Ornamente – Zeichen. Textile Motive in der Frühen Neuzeit. Köln: Böhlau, 1992.
- Frevert, Ute: Was hab’ ich im Schilde? Zur Kulturgeschichte des Adels in der Frühen Neuzeit. Frankfurt/M.: Fischer, 2009.
- Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988.
- Schäfer, Herbert: Die höfische Tischkultur des 17. und 18. Jahrhunderts. Zeremoniell – Gerät – Etikette. München: Beck, 1995.
- Warnke, Martin: Hofkultur. Zur Geschichte der Repräsentation in der Frühen Neuzeit. München: C.H. Beck, 1984.