Zwischen Lazarett und Heimatverlust. Nach seiner Rückkehr aus amerikanischer Internierung am 21. Mai 1945 fand Sigurd von der Schulenburg das Schloss Angern in einem Zustand vor, der das gesamte Ausmaß der kriegsbedingten Umwälzungen widerspiegelte. In den letzten Kriegsmonaten und unmittelbar nach der Kapitulation am 8. Mai 1945 war das Herrenhaus – wie viele adlige Gutsbesitze in Mitteldeutschland – militärisch und zivil umfunktioniert worden: Es diente als Lazarett für verwundete deutsche Kriegsgefangene, anschließend als ziviles Krankenhaus mit einer Frauenklinik (es wurden dort mehrere Kinder geboren, drei Frauen starben), und als Unterkunft für ausgebombte Zivilisten und Evakuierte.
Dieser Zustand entsprach der typischen Nutzung enteigneter oder leerstehender Großbauten in der unmittelbaren Nachkriegszeit, insbesondere unter amerikanischer und später sowjetischer Kontrolle. Sigurds eigene Wohnräume und die zentralen Zimmer der Familie waren teils belegt, teils unbenutzbar, da sie erst desinfiziert und geräumt werden mussten. Die Haushälfte rechts vom Saal war von mehreren Familien belegt, darunter Frau Schwarze, Frau Mellin mit Kindern, und die Familie Sommer. Überall im Haus standen Möbel zwischen Lazarettinventar und provisorischen Schlafstätten. Diese Vielschichtigkeit spiegelte den Zusammenbruch sozialer Strukturen und die neu entstehende Ordnung wider – geprägt von Mangelwirtschaft, Improvisation und politischer Unsicherheit.
Die baulichen Schäden waren Ausdruck der allgemeinen Verwahrlosung und Zweckentfremdung: Türen waren gewaltsam geöffnet, ein Gebäudeteil war durch Pulverspiele von Kindern niedergebrannt, und die Scheune in Ellersell war durch Artilleriebeschuss zerstört worden – vermutlich in den letzten Tagen des Krieges, als vereinzelte deutsche Einheiten trotz aussichtsloser Lage noch Widerstand leisteten.
Trotz dieser Situation begann Sigurd unmittelbar mit Aufräumarbeiten, der Wiederherstellung eines Minimums an Ordnung, und der Bewahrung dessen, was noch geblieben war – wohl wissend, dass dies ein Vorrat auf Zeit war. Denn mit dem Einzug der sowjetischen Besatzungsmacht am 2. Juli 1945 und der sich abzeichnenden politischen Wende im Osten Deutschlands war der Bestand des Schlosses als Familiensitz zunehmend gefährdet.
Spätestens mit der am 10. Oktober 1945 in Angern verkündeten Enteignung durch die KPD unter dem Schutz der sowjetischen Besatzung wurde deutlich: Das Schloss war nicht nur durch Krieg und Nachkriegsnutzung beschädigt worden, sondern nun auch politisch entkernt. Der einstige Mittelpunkt des jahrhundertealten Familienbesitzes wurde zum Symbol einer untergehenden Gesellschaftsordnung – und zu einem Ort des Übergangs: zwischen Vergangenheit, Fremdbesitz und drohender Vertreibung.