Der südliche Gewölberaum im Palas der Burg Angern: Bauhistorische Analyse und funktionale Deutung. Die Entdeckung des südlichen Gewölberaums im Erdgeschoss des Palas von Burg Angern erweitert das Verständnis der inneren Struktur und Nutzung der hochmittelalterlichen Anlage erheblich. Der Gewölberaum, seine Lage, Bauweise und der architektonische Kontext, insbesondere im Hinblick auf die darüberliegende Brückenverbindung zum Bergfried, liefern wertvolle Hinweise auf seine ursprüngliche Funktion.
Der südliche Gewölberaum liegt unmittelbar südlich des tonnengewölbten Flurs, ist jedoch durch eine massive Trennwand baulich eigenständig organisiert. Er ist durch mindestens zwei hochliegende Fenster in der Ostwand des Palas belichtet, die heute zugemauert sind. Die ursprüngliche Ausführung der Fenster lässt auf kleine, segmentbogenförmige Öffnungen schließen, die Licht, aber keine größere Angriffsfläche bieten sollten.
Das Gewölbe des Raumes ist vermutlich ein einfaches Tonnengewölbe aus Bruchstein, analog zum benachbarten Flurbereich. Ein direkter Zugang vom Flur existiert nach heutigem Befund nicht, was auf eine gesonderte Erschließung hinweist.
Da der Gewölberaum nicht vom Hauptflur aus zugänglich ist, liegt die Vermutung nahe, dass er entweder:
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über einen separaten Zugang vom Hof,
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oder über einen internen Zugang von einem benachbarten Gebäudetrakt aus,
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oder über eine vertikale Verbindung (z.B. Treppe) aus einem oberen Geschoss erreichbar war.
Aufgrund der Lage und Bauweise ergeben sich mehrere funktionale Deutungen:
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Wirtschafts- oder Vorratsraum:
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Typische Nutzung für Lagerung von Getreide, Wein oder Gerätschaften.
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Eigenständige Erschließung erhöhte die Sicherheit sensibler Vorräte.
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Teil eines Verteidigungssystems:
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Der Raum könnte als gesicherter Rückzugsraum oder Zwischenlager bei Belagerungen gedient haben.
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Statik- und Fundamentfunktion:
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Besonders interessant ist die Möglichkeit, dass der südliche Gewölberaum eine statikrelevante Rolle für die über dem Palas verlaufende Brückenkonstruktion zum Bergfried spielte.
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Ein massiver, nicht unterteilter Gewöberaum unterhalb der Brücke hätte die aufliegende Last optimal verteilt und die Stabilität der Brückenverbindung verbessert.
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Beziehung zur Brücke und Bergfried
Die Brücke verband das erste Obergeschoss des Palas direkt mit dem Bergfried über den Wassergraben hinweg. Solche Verbindungen dienten sowohl der raschen Flucht als auch der internen Verteidigung.
Der südliche Gewölberaum lag unmittelbar unter der Trasse dieser Brücke. Die Lage legt nahe, dass das Gewöbe speziell als tragende Basis für das Brückenauflager konstruiert wurde. Der massive Bruchsteinbau mit der geringen Zahl an Öffnungen und die bauliche Isolation vom Flurbereich erhöhten die Stabilität und minimierten strukturelle Schwächen.
Zusätzlich könnte der Raum über eine interne Treppe oder einen Wartungszugang eine Verbindung zur Brücke ermöglicht haben, was eine gezielte Nutzung für Verteidigungs- oder Fluchtzwecke begünstigte.
In der Burgarchitektur des Hochmittelalters finden sich Parallelen, etwa in der Burg Falkenstein und der Burg Ziesar, wo ähnliche Brückenüberbauten über Wirtschaftsräume oder gedeckte Gänge hinwegführen (vgl. Dehio 1990; Bergner 1911). In beiden Fällen wurden tragende Räume gezielt so angeordnet, dass sie die Brücken- oder Wehrganglast übernahmen.
Auch in Angern wäre es architektonisch sinnvoll gewesen, die Brückenauflager auf die stabile Struktur des südlichen Gewöberaumes zu übertragen.
Zusammenfassung und Deutung
Die bauliche Analyse des südlichen Gewöberaums im Palas der Burg Angern legt nahe, dass dieser Raum mehrere Funktionen kombinierte:
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Er diente als eigenständiger Wirtschafts- oder Lagerraum.
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Er trug statisch zur Stabilität der darüberliegenden Brücke zum Bergfried bei.
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Er erfüllte sicherheitsrelevante Aufgaben im internen Verteidigungssystem der Burg.
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Er könnte Teil eines Wartungs- oder Fluchtsystems für die Brückenanlage gewesen sein.
Damit ist der südliche Gewölberaum ein zentrales Bindeglied zwischen der Wohnarchitektur des Palas und den Wehrstrukturen der Gesamtanlage.
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Bergner, Heinrich: "Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Wolmirstedt", Halle a. d. S., 1911.
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Dehio, Georg: "Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt I", München/Berlin, 1990.
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Duncker, Alexander: "Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer", Band 12, Berlin, 1857/83.