Befundbeschreibung: Im westlichen Erdgeschoss des Palas der Burg Angern ist ein gewölbter 180°-Umkehrgang erhalten, der zwei parallel angelegte Tonnengewölberäume auf gleichem Niveau verbindet. Der Zugang erfolgt über eine schmale Passage, die unmittelbar nach dem Eintreten einen Richtungswechsel vollzieht. Die Gangführung ist vollständig gewölbt und liegt in unmittelbarer Nähe der westlichen Außenmauer des Palas; die lichte Breite des Durchgangs beträgt ca. 1,50 m. Die genaue Einbindung in die Außenmauer sowie die verbleibende Wandstärke zwischen Gang und Außenseite sind bislang nicht abschließend geklärt und bedürfen weiterer bauarchäologischer Untersuchung. Das Mauerwerk besteht aus unregelmäßigem Bruchstein in lagerhafter Schichtung mit kalkhaltigem Bindemittel; Hinweise auf Putzreste sind im unteren Bereich nicht nachweisbar.
Erhaltene mittelalterliche massive Bruchsteinwand mit Eingang zum Umkehrgang (links)
Lage und Einbindung
Die Abbildung zeigt die Westwand des Palas mit Blick auf den Eingang zum Umkehrgang. Die Aufnahme zeigt das erhaltene Bruchsteinmauerwerk mit gewölbter Öffnung zum nördlichen Kellerraum. Die asymmetrische Lage sowie die massive Wandstruktur bestätigen die original hochmittelalterliche Planung und funktionale Integration.Der Umkehrgang ist innerhalb der westlichen Außenmauer des Palas positioniert, an der hofseitigen Begrenzung der Hauptburginsel. Er erschließt den nördlich gelegenen Tonnenraum und führt von einem mittleren Hauptraum aus. Diese asymmetrische Lage zur Mittelachse lässt sich bauorganisatorisch erklären: Zum einen wurde auf statische Entlastung Rücksicht genommen, zum anderen ergibt sich die Platzierung aus der Integration in die Wandfluchten und Gewölbestruktur.
Bauzeitliche Einordnung
Auf Grundlage der verwendeten Materialien, der Bauweise (Bruchstein in Schütttechnik, Tonnenwölbung) sowie der ungestörten Erhaltung im unteren Mauerbereich ist von einer Entstehung des Umkehrgangs im Zuge der hochmittelalterlichen Ausbauphase der Burg Angern um 1340 auszugehen. Eine barocke oder frühneuzeitliche Überformung ist nicht nachweisbar. Die massive Mauerstruktur und das vollständige Fehlen späterer Durchbrüche oder Anbauten stützen diese Interpretation.
Funktionale Bewertung
Der Umkehrgang erfüllte primär die Funktion einer gesicherten, inneren Erschließung zwischen getrennten Kellerbereichen ohne direkten Außenzugang. Die gewinkelte Führung diente der Vermeidung von Sichtachsen und der Verzögerung potenzieller Eindringlinge. Zudem unterstützte sie die klimatische Stabilität der Lagerbereiche, indem sie Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen vom Innenhof abschirmte. Die lichte Breite lässt auf eine Nutzung für die Bewegung größerer Transportgüter (z. B. Fässer) schließen.
Vergleichsbeispiele
Entsprechende Ganglösungen finden sich in mehreren zeitgleichen Burganlagen der Region. In der Burg Ziesar ist ein geknickter Kellerzugang zwischen Küche und Lager dokumentiert (Dehio 2000), in Burg Lenzen ein gebogener Zugang zu den Kellerräumen des Palas (Lütkens 2011). Auch in der Burg Tangermünde sind Knickgänge in den Wehranlagen belegt, wenngleich dort primär defensiv genutzt (Bergner 1911).
Bauhistorische Bedeutung
Der Umkehrgang stellt ein selten überliefertes Beispiel hochmittelalterlicher Raumerschließung in Burganlagen der Altmark dar. Seine bauliche Integration in die Palasstruktur, die sorgfältige Ausführung und der Erhaltungszustand machen ihn zu einem Schlüsselfund für das Verständnis funktionaler Binnenarchitektur im 14. Jahrhundert. Die Kombination aus Verteidigungsstrategie, wirtschaftlicher Logistik und statischer Optimierung zeigt ein hohes Maß an planvoller Bauorganisation.
Umkehrgang Eingang in nördliches Gewölbe
Quellen
- Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg. München/Berlin, 2000, S. 115 (Burg Ziesar).
- Lütkens, Martin: Burg Lenzen – Baugeschichte und archäologische Befunde. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege, 2011.
- Bergner, Heinrich: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen. Halle/Saale, 1911, S. 45 ff. (Tangermünde).