Burg Angern
Die um 1341 gegründete Burg Angern bewahrt in seltener Geschlossenheit die originale Bau-, Erschließungs- und Verteidigungsstruktur einer hochmittelalterlichen Wasserburg und nimmt damit eine herausragende Stellung innerhalb der norddeutschen Burgenlandschaft ein.
Lage und Kontext: Der Bergfried befindet sich auf der nordöstlichen Ecke der Südinsel der Burg Angern, etwa 8 Meter südlich gegenüber dem Palas auf der Hauptinsel. Er bildet den strategischen Mittelpunkt der Südinsel, die als eigenständige Verteidigungseinheit konzipiert war.
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Bauweise und Material: Der Turm besitzt einen quadratischen Grundriss von etwa 10 × 10 Metern und war ursprünglich ein hoher Wehrturm mit acht Etagen, was seine Bedeutung als zentraler Verteidigungspunkt der Burg unterstreicht. Er ist aus massivem Bruchsteinmauerwerk errichtet, dessen grobe, aber sorgfältig gesetzte Steine typisch für hochmittelalterliche Wehrbauten im norddeutschen Raum sind.

„Es war vordem ein großer Turm von 8 Etagen, wo in dem 30jährigen Krieg sich viele fremde Örter hin salviret und wo anjetzi der Lustgarten, ist vordem ein Bruch gewesen, worinnen man wie auch im Hofe viele tote Körper gefunden, auch Kugeln und Kriegs-Arematouren, welches eine Kundschaft anzeiget, daß es zu Bataille und blutigem Gefecht gekommen sei.“

„Anno 1735 ist der Turm abgebrochen.“ (Gutsarchiv Angern Rep. H Nr. 444)

Der Turm wurde im Jahr 1735 abgebrochen, nachdem er während des Dreißigjährigen Krieges schwer beschädigt wurde – insbesondere durch den Angriff des Holkschen Regiments. Die Funde menschlicher Überreste und Kriegsmaterial in der Nähe des heutigen Lustgartens verdeutlichen die blutigen Gefechte und die nachhaltigen Zerstörungen, die das Ortsbild von Angern prägten. Das Erdgeschoss blieb dabei vollständig erhalten, was wertvolle Einblicke in die ursprüngliche Konstruktion erlaubt. Besonders auffällig ist die originale Schießscharte auf der Nordseite, die etwa 2 Meter über dem mittelalterlichen Außenniveau liegt und eine gezielte Verteidigung in Richtung der Hauptinsel ermöglichte.

Die Höhenrekonstruktion des Bergfrieds der Burg Angern lässt sich auf Grundlage der bekannten Grundfläche und der Überlieferung von acht Stockwerken annähernd bestimmen. Typische hochmittelalterliche Bergfriede wiesen lichte Raumhöhen von etwa 3,0 bis 3,5 Metern auf, ergänzt um Decken- und Mauerstärken von circa 0,5 bis 0,7 Metern pro Geschoss. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Geschosshöhe von etwa 3,5 bis 4,0 Metern. Multipliziert mit den nachgewiesenen acht Etagen ergibt sich eine Turmhöhe von etwa 28,0 bis 32,0 Metern, zuzüglich der Höhenanteile für eine Wehrplatte, Brustwehr oder ein mögliches Zeltdach. Somit dürfte der Bergfried von Angern eine Gesamthöhe von etwa 29 bis 34 Metern erreicht haben, vergleichbar mit anderen regionalen Anlagen wie dem Bergfried von Tangermünde oder Lenzen. Diese Rekonstruktion verdeutlicht die imposante Dominanz des Turmes innerhalb der Burganlage und seine zentrale Rolle im Verteidigungssystem.

Erhaltungszustand: Das erste Geschoss des Bergfrieds ist vollständig erhalten und zugänglich. Die Bausubstanz zeigt nur geringfügige spätere Veränderungen und stellt damit ein seltenes Beispiel für den außergewöhnlich guten Erhaltungszustand eines hochmittelalterlichen Wehrturms innerhalb einer Wasserburg dar. Die intakte Schießscharte sowie die originale Mauerstruktur bieten wertvolle bauhistorische Erkenntnisse über die Verteidigungskonzeption des 14. Jahrhunderts.

Funktion: Der Bergfried diente als zentraler Wehr- und Rückzugsbau der Südinsel. Er war nur gesichert von innen über das angrenzende Tonnengewölbe sowie vermutlich über eine hochgelegene Verbindung zum Palas, wie sie typologisch auch an anderen Wasserburgen wie Ziesar oder Lenzen dokumentiert ist (vgl. Dehio Brandenburg 2000). Seine Lage auf der Südinsel ermöglichte es, im Verteidigungsfall eine eigenständige, schwer einnehmbare Bastion abseits der Hauptinsel zu sichern. Damit war der Bergfried der wichtigste Verteidigungspunkt der gesamten Südinsel und integraler Bestandteil des mehrstufigen Verteidigungssystems der Burg Angern.

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Bauzeitliche Gewölbedecke des Erdgeschoss des Bergfrieds
 
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Mittelalterliche nördliche Außenmauer des Bergfrieds mit Schießscharte
 
Nordseite des Bergfrieds (linker Bildbereich): Der linke Mauerabschnitt stellt die nördliche Außenmauer des Bergfried-Erdgeschosses dar. Er besteht aus regelmäßigem, lagerhaft gesetztem Bruchsteinmauerwerk mit einer deutlich erkennbaren vertikalen Schießscharte im oberen Drittel. Die Mauer ist ungefasst, mit mittelgroßen Granit- und Gneisquadern. Die Mauertechnik, das Material (größtenteils unregelmäßiger Feldstein mit feinem Mörtelbett) und die Einbindung der Scharte, die Ausführung und die Mauerstärke von fast 2 Metern sowie die Art der Schießscharte deuten auf eine hochmittelalterliche Entstehung (um 1340). Die Schießscharte ist ein Hinweis auf die wehrhafte Funktion des Erdgeschosses, vermutlich zur Sicherung des Zugangsbereichs oder zur Verteidigung der Grabenzone. Solche vertikalen Scharten sind für Bergfriedbasen typisch, da sie der Nahverteidigung des Grabens und des Zugangsbereichs dienten, ohne die strukturelle Integrität der Mauer zu gefährden.
Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg sowie einflussreiche Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitzrechte, Lehnsbindungen und lokale Machtstellungen. In diesem territorial instabilen Raum stellte die Gründung der Burg Angern eine gezielte Maßnahme der Erzdiözese Magdeburg dar, um ihren Einfluss militärisch abzusichern und administrativ zu konsolidieren. Die Errichtung einer Wasserburg mit deutlich ausgeprägter Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz vor Ort und fungierte zugleich als sichtbares Machtsymbol gegenüber konkurrierenden Adelsinteressen. Hauptburg Angern Palas, Ringmauer und Wehrgang um 1350
Die Besitzgeschichte der Burg Angern lässt sich ab dem 14. Jahrhundert anhand von Lehnbriefen, Pfandverträgen und erzbischöflichen Urkunden nachvollziehen. Die frühe Geschichte ist dabei durch häufige Besitzerwechsel und konkurrierende Lehnsverhältnisse geprägt, was auf die strategische Bedeutung der Anlage und den politischen Druck auf das Erzstift Magdeburg hinweist. Erstmals wird die Burg im Jahr 1343 als Besitz eines Gerlof von Brunhorcz erwähnt. Im Jahr 1363 erscheint Lüdecke von Grieben als Lehnsträger. Er war kein Angehöriger der hochadeligen Familie von Grieben, sondern ein Vasall, der deren Namen übernommen hatte – ein im Mittelalter verbreitetes Phänomen, um familiäre Zugehörigkeit oder Schutzverhältnisse zu demonstrieren. 1370 sind Lüdecke von Grieben und zwei Söhne des Ritters Jakob von Eichendorf gemeinsam mit Angern belehnt.
Dieser Rundgang durch die Burg Angern um das Jahr 1350 basiert auf einer sorgfältigen Rekonstruktion historischer Quellen, archäologischer Befunde und baugeschichtlicher Analysen. Alle Szenen, Räume und Details wurden unter Berücksichtigung realer Gegebenheiten der mittelalterlichen Anlage entwickelt – etwa der erhaltenen Tonnengewölbe, der typischen Bauweise von Palas, Bergfried und Wirtschaftsflügeln sowie Hinweise aus Inventaren und schriftlichen Überlieferungen. Ziel ist es, nicht nur die äußere Gestalt, sondern auch die Atmosphäre und Lebenswelt einer spätmittelalterlichen Burg erlebbar zu machen – so nah wie möglich an der historischen Realität, doch mit erzählerischer Tiefe. Die Bilder zeigen fotorealistische Rekonstruktionen der Burg Angern um 1350. Sie basieren auf archäologischen Befunden, historischen Quellen und vergleichbarer Bausubstanz – realitätsnah umgesetzt mit moderner KI-Technik.
Die Burg Angern im Kontext des hochmittelalterlichen Burgenbaus der Altmark. Die Burg Angern zählt zu den wenigen noch heute klar strukturell erfassbaren Beispielen hochmittelalterlicher Wasserburgen im nördlichen Sachsen-Anhalt. Errichtet vermutlich um 1340 unter dem Einfluss des Magdeburger Erzstifts, zeigt die Anlage eine außergewöhnlich gut erhaltene Grundstruktur, die sich aus drei funktional getrennten Inselbereichen zusammensetzt: Hauptburg mit Palas, südlich vorgelagerte Turminsel mit Wehrturm sowie die westlich angegliederte Vorburg mit wirtschaftlicher Nutzung. Die gezielte Gliederung in Verteidigung, Verwaltung und Versorgung veranschaulicht in exemplarischer Weise die Prinzipien rationalisierten Burgenbaus im Spätmittelalter. Ostansicht des Palas mit dem Wehrturm (KI Rekonstruktion)
Die Burg Angern um 1350: Architektur und Aufbau einer mittelalterlichen Wasserburg in der Altmark. Die Burg Angern, errichtet um 1341 unter Erzbischof Otto von Magdeburg, stellt ein herausragendes Beispiel für den Typus der mittelalterlichen Wasserburg in der Altmark dar. Inmitten eines künstlich angelegten Wassergrabens erhoben sich die Hauptburg auf einer nördlichen Insel sowie der Bergfried auf einer südlichen Nebeninsel. Die hier dargestellte Rekonstruktion basiert auf archäologischen Restbefunden, historischen Quellen (Rep. H Angern Nr. 79; Dorfchronik Angern) und Vergleichen mit zeitgenössischen Anlagen wie Kalbe (Milde), Beetzendorf und Salzwedel. Lageplan der Burg Angern mit Hauptburg, Turminsel und Vorburg um 1350
Die Burg Angern als exemplarische hochmittelalterliche Wasserburg in Norddeutschland. Die Burg Angern zählt zu den wenigen archäologisch und archivalisch gleichermaßen gut dokumentierten Beispielen hochmittelalterlicher Wasserburgen in der norddeutschen Tiefebene. Die um 1340 entstandene Anlage vereint in exemplarischer Weise militärische, wirtschaftliche und administrative Funktionen innerhalb eines klar gegliederten Burgsystems. Ihre topografische Konzeption – bestehend aus zwei künstlichen, bis heute erhaltenen Inseln inmitten eines umlaufenden Grabensystems – dokumentiert eindrucksvoll die strategischen und technischen Planungsprinzipien des Burgenbaus im mittleren 14. Jahrhundert.
Die Vorburg der Burg Angern: Funktionsanalyse und historische Rekonstruktion unter der Annahme mittelalterlicher Vorgängermauern (ca. 1350). Die Vorburg der Burg Angern, wie sie auf einem barockzeitlichen Plan um 1760 dargestellt ist, weist eine markante rechteckige Struktur mit drei langgestreckten Wirtschaftsgebäuden und zwei freistehenden Bauten auf. Auf Grundlage architektonischer Analyse, funktionaler Einteilung sowie typologischer Vergleiche mit anderen mitteleuropäischen Burganlagen lässt sich begründet rekonstruieren, dass die barocken Gebäude auf der Struktur und dem Grundriss einer hochmittelalterlichen Vorburg basieren. Die folgenden Ausführungen widmen sich der Rekonstruktion dieser früheren Vorburg unter der Annahme eines Baubestandes aus der Zeit um 1350. Innenhof der Vorburg Angern mit Wirtschaftsgebäuden (KI-Rekonstruktion)
Die strategische Lage Angerns im Dreißigjährigen Krieg. Angern war zu Beginn des 17. Jahrhunderts Sitz eines ausgedehnten Lehngutes der Familie von der Schulenburg, gelegen an der Grenze zwischen dem Kurfürstentum Brandenburg und den geistlichen Territorien Halberstadt und Magdeburg. Die Burg war Teil eines befestigten Ensembles aus Hauptburg, Vorburg und Turminsel. Ihre Lage machte sie im Kontext konfessioneller Konflikte und durchziehender Heere zu einem militärisch sensiblen Ziel.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.