Die Verwaltung eines adligen Gutes im 18. Jahrhundert war ohne ein differenziertes Personalwesen nicht denkbar. Am Beispiel des Gutes Angern unter Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg lässt sich ein komplexes soziales Gefüge rekonstruieren, das auf Arbeitsteilung, Naturalversorgung und sozialen Hierarchien beruhte. Die folgende Untersuchung basiert auf dem erhaltenen Lohn- und Deputatverzeichnis von 1744 im Gutsarchiv Angern.
Der Hofmeister als Schaltstelle der Gutsverwaltung
Die beiden Hofmeister Hans Chörig und Christoph Bohmann nehmen in der Personalhierarchie eine zentrale Position ein. Mit einem Jahreslohn von 30 bzw. 12 Talern (ca. 1.800 bzw. 720 Euro) und umfangreichen Deputatsleistungen (Hans Chörig: ca. 26.200 Euro) sind sie nicht nur mit organisatorischen Aufgaben betraut, sondern fungieren als Bindeglied zwischen dem Gutsherrn und den abhängigen Arbeitskräften. Ihre Aufgaben umfassten die Überwachung des Gutsbetriebs, die Anstellung und Beaufsichtigung des Gesindes sowie das Führen von Haushalts- und Verwaltungsaufzeichnungen. Hofmeister waren in der Regel schrift- und rechenkundig, hatten praktische Erfahrung im landwirtschaftlichen Betrieb und durchliefen oft eine Laufbahn als Schreiber oder Vogt.
Fachkräfte mit spezieller Funktion
Neben dem Hofmeister finden sich Spezialisten wie der Braumeister Öltze und der Gärtner Christian Müller. Sie zeichnen sich durch eine relativ hohe Entlohnung (26 bzw. 24 Taler = ca. 1.560 bzw. 1.440 Euro) und eine umfassende Naturalversorgung (ca. 6.000 bis 7.000 Euro) aus, die auch Butter, Käse, Schafe und ein umfangreiches Bierdeputat umfasst. Der Braumeister war verantwortlich für die Versorgung des Haushalts und der Bediensteten mit trinkbarem Bier, das in großem Umfang konsumiert wurde. Der Gärtner sorgte für die Nutz- und Zierpflanzen im Garten, belieferte die Küche mit Frischgemüse und pflegte Obstbäume, Beete sowie eventuell auch Zieranlagen des barocken Gartens. Beide Berufe erforderten eine mehrjährige praktische Ausbildung, meist im Rahmen der traditionellen Gesellenlaufbahn.
Die Hirten als mobile Arbeitskräfte
Die Ochsen-, Rinder-, Kuh- und Schweinehirten erhalten nur geringe Barentlohnung (zwischen 4 und 14 Talern = ca. 240 bis 840 Euro), aber eine bemerkenswert umfangreiche Deputatversorgung im Wert von 4.500 bis 5.200 Euro. Ihre wirtschaftliche Basis ist stark an das Gut gebunden. Als spezialisierte Tierhalter waren sie für das Führen, Füttern und Beaufsichtigen der jeweiligen Vieharten verantwortlich und hatten teils mehrere Tiere über lange Strecken auf die Weiden oder in den Stall zu begleiten. Besonders in der Früh- und Abendzeit sowie bei der Versorgung im Winter war ihre Arbeit unentbehrlich. Die Ausbildung erfolgte zumeist durch Anlernen im Elternhaus oder durch Mitlaufen bei erfahrenen Hirten; formale Ausbildungseinrichtungen existierten nicht.
Dienstpersonal im Haus
Das weibliche Dienstpersonal, vertreten durch Personen wie Dortliese Backhusin, steht im Dienst des Herrn Oberamtmanns Croon und erhält mit 8 Talern (ca. 480 Euro) den geringsten Lohn. Zusätzlich werden ihr zu Weihnachten und zum Jahrmarkt Geschenke gewährt. Sie profitiert aber ebenfalls von bestimmten Deputaten wie Seifengeld, Lein und einfacher Kleidung (geschätzter Gesamtwert: ca. 1.000 Euro). Ihre Aufgaben umfassten vermutlich Reinigungsarbeiten, Wäschepflege, einfache Botengänge, Hilfe in der Küche sowie bei Bedarf Kinderbetreuung. Die Ausbildung bestand in der Regel aus praktischer Unterweisung im Haushalt, oft durch eine ältere Magd oder die Herrschaft selbst.
Gerichtsdiener als verlängerter Arm der Herrschaft
Der Gerichtsdiener David Reinhold Hoffmann wird mit 15 Talern (ca. 900 Euro) entlohnt und mit einem Deputat bedacht, das ihn in die mittlere Ebene des Dienstpersonals einordnet. Neben Getreide, Fleisch und Viehhaltung erhält er auch Kleidung und Brennholz (geschätzter Gesamtwert: ca. 5.500 Euro). Als Gerichtsdiener war er mit Aufgaben der Zustellung, Anordnung und teils Aufsicht über Justizangelegenheiten betraut. Dies verweist auf das Nebeneinander von grundherrlicher Verwaltung und gerichtlicher Gewalt. Seine Ausbildung bestand wahrscheinlich in langjähriger Praxis unter Anleitung eines Vogts oder Justizbeamten und erforderte ein gewisses Maß an Vertrauenswürdigkeit und Kenntnis der lokalen Rechtsverhältnisse.
Monetarisierung und Naturalwirtschaft im Vergleich
Auffallend ist das geringe Gewicht des Bargeldlohns gegenüber der Naturalversorgung. Selbst beim bestbezahlten Bediensteten Hans Chörig beträgt der Lohn nur etwa 6 % des Gesamtwerts seiner Entlohnung. Dies verdeutlicht den Charakter des Gutes als geschlossene Wirtschafts- und Versorgungseinheit im Sinne einer Ökonomie der Selbstversorgung mit eingeschränktem Geldumlauf. Der Oberamtmann Croon war keine Lohnkraft im engeren Sinne, sondern stand über der Verwaltungsebene, daher ist er im Lohnverzeichnis nicht aufgeführt. Sein Haushalt wird jedoch sichtbar durch das ihm zugeordnete Gesinde wie Dortliese Backhusin. Sein Einkommen war vermutlich entweder durch Amtsstellung, Beteiligung an den Erträgen oder Zugehörigkeit zur Familie des Gutsherrn geregelt.
Weitere zentrale Funktionen in der Bauphase 1737
Ein weiteres Element der Konsolidierung war die Verpachtung der beiden Güter (Vergunst und der Gutshof am Schloss) an Amtmann Heinrichs (Rep H Angern Nr. 409, Blatt 25-28) unmittelbar nach dem Erwerb des Guts Vergunst durch Christoph Daniel, der aufgrund seiner bereits bewährten wirtschaftlichen Leistung als zuverlässiger Administrator galt. Neben seinen Aufgaben als Landwirt und Verwalter übernahm Heinrichs damit auch eine zentralisierte Funktion innerhalb des neuen Gutsverbandes, in der er sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich agieren konnte – z. B. bei Streitigkeiten mit Pächtern, Hofleuten oder angrenzenden Besitzern (Rep H Angern 336 Nr.1, Nr.14).
Bereits 1735 leistete Heinrichs zwei größere Zahlungen in Höhe von jeweils 1.000 Talern als sogenanntes „Vorstandsgeld“, wobei die zweite explizit „bei Übergabe des Guts vollends empfangen“ wurde. Auch nach der formellen Übergabe blieb Heinrichs eingebunden: Ein Restbetrag von 190 Talern aus dem Weihnachtsquartal 1735 wurde ihm „auf Rechnung“ belassen zur Bezahlung angelieferter Mauersteine – verbunden mit dem Vermerk, dass während der Wintermonate keine regelmäßige Kommunikation über die Elbe möglich sei. Diese flexible Übergangsregelung findet ihre Erklärung in der Struktur des Personalwesens unter Christoph Daniel, wie es für die 1740er Jahre dokumentiert ist. Demnach legte Schulenburg besonderen Wert auf Kontinuität, Loyalität und administrative Effizienz – viele der überlieferten Gutsbeamten, Pächter und Handwerker blieben über Jahrzehnte im Dienst.
Die Ausgabenbilanz von 1737 (Rep H Angern Nr. 409, Blatt 25-28) ergänzt das Bild um weitere bedeutende Rollen: Der Justitiar, der vermutlich über dem Hofmeister rangierte, wird dort als Empfänger eines festen Gehalts genannt und war zuständig für Rechtsgeschäfte, Vertragswesen, Schuldenregelung und vermutlich auch für den Ankauf der Güter Vergunst und Wenddorf. Er war der rechtliche Garant für Christoph Daniels Besitzkonsolidierung. Der Bauschreiber trat als Rechnungsführer und Dokumentar der Bautätigkeit auf und arbeitete eng mit dem Bauherrn, dem Landbaumeister und den Handwerksmeistern zusammen. Die Bauknechte und das Pferdepersonal wurden getrennt aufgeführt, jedoch gemeinsam entlohnt – ein Indiz für die organisatorische Einheit von Lastentransport und einfacher Bauhilfe. Der Schütze, namentlich nicht im Lohnverzeichnis genannt, erscheint ebenfalls in der Bilanz und dürfte für Holzeinschlag und Verkauf, Wildstand, Lageraufsicht und Sicherheit zuständig gewesen sein. All diese Posten sind Ausdruck einer klar hierarchisierten und funktional durchstrukturierten Organisation, die auf Dauerhaftigkeit, Kontrolle und Effizienz angelegt war.
Schlussfolgerung
Das Personalwesen unter Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg zeigt ein äußerst differenziertes System abhängiger Arbeit, das durch Spezialisierung, institutionalisierte Hierarchie und eine dominante Naturalwirtschaft gekennzeichnet ist. Es verband die Logik ökonomischer Effizienz mit sozialer Kontrolle und spiegelte die Zielsetzung wider, das Rittergut Angern nicht nur als landwirtschaftlichen Betrieb, sondern als geschlossene, selbsttragende Herrschaftsstruktur zu führen. Die überlieferten Lohn- und Bauabrechnungen erlauben einen ungewöhnlich dichten Einblick in das Alltagsgefüge eines barocken Gutes, dessen Struktur auch für vergleichbare Anlagen der Zeit modellhaft gelten kann.
Quelle
- Gutsarchiv Angern, Rep H 343
- Gutsarchiv Angern, Rep H 409, Blatt 25-28
- Gutsarchiv Angern, Rep H 409, Bl. 25, Einträge vom 27. Februar und 11. Juli 1735.