Vom Gartensaal gelangt man in den Damensalon, dessen Nutzung sich im Laufe der Zeit deutlich wandelte. Um 1750 diente der Raum vermutlich als Appartement, das Repräsentation mit Rückzug verband. In der barocken Phase spiegelte der Raum die Vorliebe für textile Pracht, ornamentale Vielfalt und symbolisch aufgeladene Bildwerke wider – ein Ort individueller Lebensführung, oft mit direktem Bezug zur Schlaf- und Garderobenfunktion. Seine Ausstattung orientierte sich an französischen Vorbildern, etwa in der Verwendung von Damastbespannungen, Falballa-Gardinen und Nussholzmöbeln, und dokumentiert den internationalen Austausch adeliger Wohnkultur um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Um 1845 wandelte sich die Funktion: Der Damensalon wurde nun zum gesellschaftlichen Mittelpunkt für die Hausherrin und ihre Gäste – ein bürgerlich geprägter Repräsentationsraum mit Tee-Etagère, floralen Sitzgruppen, Rouleaux und hellen Wandfarben. Die ehemals intime Funktion wurde zunehmend durch eine salonartige Öffentlichkeit ersetzt, die gesellige Konversation und stilvolle Begegnung ins Zentrum rückte – Ausdruck des sich wandelnden Rollenverständnisses adliger Frauen im 19. Jahrhundert.
Der Raum im 18. Jahrhundert
Der Raum spiegelt um 1745 die barocke Vorliebe für textile Prächtigkeit, ornamentale Vielfalt und symbolisch aufgeladene Bildwerke wider. Der Raum diente vermutlich als privates Appartement und vereinte Repräsentation mit Intimität und räumlicher Abgeschlossenheit. Die ästhetische Ausgestaltung verweist auf den französischen Einfluss in der Schlafkultur des Adels sowie auf den internationalen Austausch von Materialien und Formen in der Zeit um 1745.
Laut dem Inventar von 1752 umfasste die Ausstattung 31 Bahnen gelbe Brocadell-Tapeten sowie 4 Gardinen und 2 Falballas aus weißer Leinwand. Ein großes Bett à la Duchesse, außen mit weißer Garnierung, mit oberem und unterem Bassemens sowie Gardinen aus Doublett, innen mit Himmel und Decke aus gelbem Moiré. Ein Bett à la Duchesse ist ein französisches Himmelbett aus dem 17. und 18. Jahrhundert, bei dem der Baldachin (Himmel) direkt an der Decke befestigt ist und das Bett ohne die typischen vier Pfosten auskommt. Dieses Design verleiht dem Bett eine schwebende Eleganz und war besonders in adeligen Kreisen beliebt. Dazu gehörte eine separate Decke aus chinesischem Zitz. Das Bettzeug bestand aus einer großen Madratze, einem rot-weiß gestreiften Parchen Unterbett, einem Kopfpolster aus demselben Stoff, einem blau-weiß drellenen Fulipfuhl, einem gelb-grün-rot-weiß gestreiften Leinen-Oberbett mit extra feinen Daunen, zwei Kopfkissen aus demselben Stoff sowie einem Strohsack (alles mit Nr. 2 signiert). Ein großes Sofa mit gelbem Doublett, weiß garniert, sowie sechs Stühle mit demselben Stoff überzogen, ein ovaler Spiegel mit Nussbaumrahmen, ein Nussbaumtisch unter dem Spiegel und zwei kleine Ecktische aus Nussbaum vervollständigten die Möblierung.
Die Wände wurden mit einem Surporte mit Kapaun, zwei Hühnern und einem Lamm sowie einem Supraporte weiteren mit Hahn, zwei Hühnern und drei Tauben dekoriert. Außerdem erwähnt wird eine Darstellung der Himmelfahrt Christi, mit Gold und Silber auf Couleur-Seide bestickt.
KI generierte Ansicht des Raums um 1750
Dazu kam das Porträt der Königin, Frau Mutter Seiner Majestät des Königs von Preußen. Dabei könnte Sophia Dorothea von Hannover (*1687–1757) gemeint sein. Sie war die Ehefrau von Friedrich Wilhelm I. von Preußen (*1688–1740), dem sogenannten „Soldatenkönig“, und die Mutter von Friedrich II. (der Große) (*1712–1786), der ab 1740 König von Preußen war. Da Friedrich II. ab 1740 regierte, wäre seine Mutter Sophia Dorothea zur Zeit der Inventarisierung 1743 die „Königin Mutter“. Sophia Dorothea war eine geborene Prinzessin von Hannover, Tochter von Georg I. von Großbritannien, und hatte starken Einfluss auf die kulturellen und höfischen Gepflogenheiten in Preußen.
Eine verdeckte Tür mit tapezierter Verkleidung (wurde um 2008 geschlossen) führte vermutlich in die Retirade, ein kleines Kabinet mit Waschgelegenheit, das heute vom Empfang aus zugänglich als Gäste-Toilette genutzt wird.
In dem angrenzenden kleinen Kabinett befand sich ein zusammenlegbares Bett für einen Domestiken sowie ein gelber Stuhl, der eine Comodité enthielt (hierbei handelt es ich wahrscheinlich um einen “Chaise Percée” oder “Stuhl mit Nachttopf”, auch “Commodenstuhl” genannt. Diese Stühle waren speziell für den Gebrauch als Toilettenstuhl konzipiert und verfügten über eine herausnehmbare Schüssel oder einen Topf, der diskret unter einer gepolsterten Sitzfläche verborgen war).
Der Raum im 19. Jahrhundert
Der Damensalon des Schlosses Angern, wie er auf der überlieferten Fotografie des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts dokumentiert ist, stellt ein herausragendes Beispiel für die spätbiedermeierliche bis frühgründerzeitliche Wohnkultur des Adels in der Provinz dar. Seine Ausstattung zeugt von einer stilistischen Überlagerung klassizistischer, biedermeierlicher und historistischer Elemente und verweist zugleich auf die fortschreitende Differenzierung privater Innenräume im Zuge des sozialen und kulturellen Wandels des 19. Jahrhunderts.
Die Wandgestaltung mit einer vollständig durchlaufenden, ornamental gestalteten Tapete in hellen Tönen erzeugt einen homogenen, beruhigten Raumeindruck. Das Rankenmotiv mit vegetabilen Anklängen ist typisch für die Zeit um 1870/80 und spiegelt die Rezeption barocker und rokokozeitlicher Dekore im Rahmen des Historismus. Diese textile bzw. textilimitierende Wandverkleidung steht exemplarisch für das Streben nach bürgerlicher Eleganz, gepaart mit wohnlicher Intimität. Die Tapete fungiert nicht nur als dekorative Hülle, sondern auch als strukturierendes Element für die Hängung von Bildern und Wandobjekten.
Zentraler Blickfang ist die Sitzgruppe, bestehend aus einem sechseckig abgeschrägten Tisch, vier klassizistisch beeinflussten Polsterstühlen mit durchbrochenen Rückenlehnen sowie einem halbhohen, gepolsterten Sofa. Die Möblierung ist stilistisch dem Empire- bzw. Spätbiedermeier zuzuordnen und zeigt eine Reduktion barocker Bewegung zugunsten klarer Linien, funktionaler Eleganz und handwerklicher Detailarbeit. Die Möblierung des Raumes lässt sich als Ausdruck einer kultivierten, weiblich konnotierten Öffentlichkeit deuten – ein Rückzugsraum für Konversation, Lektüre, Briefwechsel und geselliges Beisammensein.
Die dekorativen Accessoires – insbesondere die Tischlampe mit gefälteltem Stoffschirm und Fransen – belegen die Modernisierung des Hauses durch elektrische Beleuchtung oder die Simulation derselben. Der prunkvolle Kronleuchter mit geschliffenem Kristallglas korrespondiert mit der gehobenen Ausstattung und zeigt die stilistische Kontinuität höfischer Repräsentationsformen auch im bürgerlich geprägten 19. Jahrhundert.
Ein weiterer kunsthistorisch bedeutender Bestandteil ist der weiß glasierte Kachelofen mit floraler Reliefplatte und profilierter Bekrönung. Er vereint Funktionalität mit ornamentaler Gestaltung und ist in seiner Form typisch für bürgerlich-adlige Wohnräume der Gründerzeit. Er verweist zugleich auf das Fortbestehen der keramischen Kunst im Kontext industrieller Serienproduktion.
Die Wandgestaltung ist durch eine gezielte Bildhängung strukturiert: Ein großformatiger Historienstich – möglicherweise eine Szene aus dem höfischen 18. Jahrhundert – wird flankiert von Portraits und Landschaftsgemälden. Die Arrangements sind typisch für den eklektischen Stil der Zeit, bei dem bürgerlich-moralische Bildthemen, Familienporträts und Erinnerungsstücke bewusst kombiniert wurden.
Der Damensalon im Schloss Angern steht somit exemplarisch für einen Übergangsraum zwischen aristokratischer Repräsentation und bürgerlicher Wohnlichkeit. Er visualisiert die Verschiebung hin zur funktional gegliederten Raumordnung mit geschlechtsspezifischer Nutzungszuweisung und betont zugleich die Rolle der Innenausstattung als Medium kultureller Selbstvergewisserung. Die Verbindung aus handwerklicher Qualität, textilem Reichtum, Lichtinszenierung und thematischer Bildausstattung macht den Raum zu einem authentischen Zeugnis der stilistischen Pluralität und sozialen Transformation des späten 19. Jahrhunderts.
Der Damensalon um 1920
Der Damensalon um 1920 - KI generierte Ansicht
Der Raum heute
Der Damensalon ist heute in einer Kalk-Kaseinfarbe gehalten, die mit natürlichen Pigmenten aus Ocker-Grün und Ocker-Gelb getönt wurde.
Die Familie von François und die Gründung von Windhoek
Eine besondere historische Note erhält der Damensalon heute durch die ausgestellten Ölgemälde der Hugenottenfamilie von François, zu der auch die Mutter von Alexander von der Schulenburg gehörte.
Bruno Hugo Karl Friedrich von François (*29. Juni 1818 in Magdeburg; †6. August 1870 bei Spicheren) war ein preußischer Generalmajor. Er trat 1834 in die Preußische Armee ein und nahm an mehreren Feldzügen teil, darunter der Krieg gegen Dänemark 1864 und der Deutsche Krieg 1866, in dem er in der Schlacht bei Königgrätz verwundet wurde und den Orden Pour le Mérite erhielt. Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870 führte er die 27. Infanterie-Brigade und fiel in der Schlacht bei Spichern. Seine Söhne Curt und Hermann von François wurden ebenfalls hohe Militärs.
Hauptmann Curt von François, spielte eine Schlüsselrolle bei der Gründung der heutigen Hauptstadt Namibias, Windhoek. Im Jahr 1840 hatte Jan Jonker Afrikaaner das Hochland besetzt und nach seiner südafrikanischen Heimat Winterhoek benannt. Dieser strategisch wichtige Ort wurde zum umkämpften Durchgang zwischen den Hereros und Namas. Am 18. Oktober 1890 besetzte Curt von François mit 32 Mann der deutschen Schutztruppe diesen Ort und begann noch am selben Tag mit dem Bau einer Festung. Diese Gründung markierte den Grundstein für die heutige Landeshauptstadt Windhoek und symbolisiert einen historischen Wendepunkt in der Region. Die Festung unterstrich die strategische Bedeutung des Platzes und etablierte die deutsche Präsenz vor Ort.