Die Bodenreform 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone: Demokratischer Neuanfang oder Instrument sowjetischer Machtausübung? Dieser Text basiert auf einem Essay von Fritz Reinert aus dem Jahr 2023, das seine persönlichen Erfahrungen mit der Bodenreform von 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) schildert und kritisch bewertet. Aufbauend auf Reinerts Darstellung wird der historische Kontext durch zusätzliche Quellen vertieft, zentrale Prozesse wie die sowjetische Steuerung, die juristische Dimension sowie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Langzeitfolgen differenziert analysiert. Ziel ist eine quellengestützte Einordnung der Bodenreform in das Spannungsfeld von demokratischer Rhetorik und autoritärer Praxis. Die Bodenreform von 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gilt bis heute als eine der tiefgreifendsten Umstrukturierungen der Eigentumsverhältnisse in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Offiziell als "demokratische Bodenreform" deklariert, wurde sie von der DDR jahrzehntelang als Akt sozialer Gerechtigkeit gefeiert. Doch eine kritische Analyse der Quellen, insbesondere des autobiografisch gefärbten, aber quellengesättigten Beitrags von Fritz Reinert (2023), legt nahe, dass die Reform weit eher ein politisch motivierter, von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) kontrollierter Eingriff war.
Zeitzeuge Fritz Reinert
Fritz Reinert, Jahrgang 1929, war ursprünglich Landmaschinenschlosser und wurde in der DDR ein Befürworter der Bodenreform. Als Zeitzeuge erlebte er den Beginn der Reform in Plänitz am 23. September 1945 persönlich mit. Erst nach der politischen Wende studierte er Geschichte und setzte sich kritisch mit der offiziellen Darstellung auseinander, die er zuvor selbst vertreten hatte. Sein Beitrag von 2023 stellt eine seltene Kombination aus persönlicher Erfahrung, historischer Forschung und selbstkritischer Reflexion dar. Reinerts späte Einsicht, dass die Reform unter sowjetischer Kontrolle stand und nicht dem Ideal einer demokratischen Umgestaltung entsprach, verleiht seinem Text eine besondere Authentizität und Relevanz für die historische Debatte.
Konzeptuelle Grundlagen: Edwin Hoernles Einfluss und seine Begrenzung
Edwin Hoernle, der im Moskauer Exil ein differenziertes Konzept zur Agrarreform entwarf, forderte 1942 eine „entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes", jedoch unter Berücksichtigung politischer Widerstandshandlungen: „Ein differenziertes Vorgehen gegenüber Grundbesitzern, die am Widerstand gegen das NS-Regime beteiligt waren, sei notwendig" (Reinert 2023, S. 5). Diese Forderung fand im späteren sowjetischen Gesetz jedoch keine Berücksichtigung.
Der sowjetische Einfluss: SMAD als Taktgeber der Bodenreform
Die zentrale Rolle der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) bei der Vorbereitung und Durchführung der Bodenreform ist durch zahlreiche Quellen belegt. Während die KPD-Führung zunächst eigene agrarpolitische Vorstellungen entwickelte, darunter eine mögliche Enteignungsgrenze von 150 Hektar (nach Edwin Hoernle), wurde diese Linie durch eine straff gelenkte sowjetische Gesetzgebung ersetzt. Bereits im Frühsommer 1945 erhielten deutsche Kommunisten in Berlin einen russischen Gesetzesentwurf, den Wolfgang Leonhard ins Deutsche übersetzte (Reinert 2023, S. 8). Dieser Entwurf wurde später nahezu wortgleich als Verordnung über die Bodenreform der Provinz Sachsen veröffentlicht.
Die sowjetische Führung betrachtete die Bodenreform nicht als originär deutsche Angelegenheit, sondern als politisches Instrument zur Umgestaltung der Gesellschaft nach dem Vorbild der Reformen in Polen, Ungarn und Rumänien. In einem Schreiben des sowjetischen Außenministeriums vom 30. August 1945 wurde betont, dass sich das Projekt der Agrarreform „ausschließlich gegen die großen junkerlichen und feudalen Gutsbesitzungen mit mehr als 100 Hektar“ richte (Reinert 2023, S. 15; vgl. Laufer 1996, S. 83). Eine deutsche Eigeninitiative wurde nicht zugelassen: Die sowjetische Führung übermittelte den deutschen Kommunisten einen fertigen Gesetzesentwurf, der von Wolfgang Leonhard lediglich übersetzt und weitergeleitet wurde – ohne Raum für inhaltliche Mitgestaltung (Leonhard 1955, S. 234 ff.). Die SMAD übernahm die operative Umsetzung, kontrollierte die Provinzialverwaltungen und legte den politischen Rahmen für die Durchführung fest.
Der Einfluss reichte bis in die konkrete Umsetzung: Die sowjetischen Kreis- und Stadtkommandanturen organisierten Versammlungen, instruierten lokale Bodenkommissionen und bestimmten in vielen Fällen direkt über Enteignungen und Zuteilungen. Reinert beschreibt, wie selbst vermeintlich lokale Entscheidungen in Plänitz auf ausdrückliche Anweisung der sowjetischen Besatzungstruppen getroffen wurden. Damit wurde klar, dass der politische Impuls wie auch die Umsetzung der Bodenreform in zentralen Aspekten von der sowjetischen Besatzungsmacht bestimmt wurden und nicht von einem demokratischen Prozess innerhalb der deutschen Bevölkerung ausgingen.
Der Beginn der Bodenreform in Plänitz am 23. September 1945 wurde „zentral inszeniert" und durch den Berliner Rundfunk übertragen (ebd., S. 22). Die Entscheidung zur Auswahl von Plänitz als Musterbeispiel trafen sowjetische Funktionäre. Die Gemeinde-Boden-Kommission (GBK) erhielt temporäre Vollzugsgewalt, handelte jedoch nicht selten willkürlich, wie die Enteignung des NSDAP-Ortsbauernführers Hegermann zeigt, der einem britischen Piloten geholfen hatte, aber dennoch enteignet wurde (ebd., S. 26).
Demokratischer Anspruch und autoritäre Praxis
Obwohl die Bodenreform formal auf Dorfversammlungen und Voten der Gemeinde-Boden-Kommissionen (GBK) basierte, war sie in der Praxis von einer strikten Zentralisierung und hierarchischen Kontrolle geprägt. Die SMAD bestimmte nicht nur den rechtlichen Rahmen, sondern auch die inhaltliche Ausrichtung, die zeitlichen Abläufe und die personelle Besetzung der lokalen Vollzugsorgane. So wurden die Mitglieder der GBK häufig durch politische Empfehlungen oder direkte Vorgaben aus den Kreiskommandanturen ausgewählt. Die Versammlungen dienten vorrangig der symbolischen Legitimation bereits getroffener Entscheidungen.
Reinert schildert, dass selbst bei scheinbar offenen Abstimmungen auf den Dorfversammlungen Druckmittel wie Lebensmittelkontingente, Kohlezuweisungen oder die Androhung von Verhaftungen eine zentrale Rolle spielten (Reinert 2023, S. 27). In vielen Fällen war das Abstimmungsergebnis bereits vorher bekannt oder wurde durch gezielte Einflussnahme abgesichert. Auch die Beschlüsse der GBK hatten meist nur Empfehlungscharakter, sofern sie nicht mit den Vorgaben der sowjetischen Bezirksverwaltung übereinstimmten. Die autoritäre Struktur zeigte sich auch in der Durchführung der Enteignungen: Entscheidungen wurden nicht selten „von oben“ kommuniziert, und lokale Widerstände – etwa zugunsten unbelasteter Großbauern – wurden ignoriert oder unterdrückt. Die behauptete Demokratisierung des ländlichen Raums diente in dieser Perspektive primär der Legitimation eines machtpolitischen Projekts. Reinert resümiert: „Die Bodenreform, gelenkt und kontrolliert durch die SMAD, war von Anbeginn ein widersprüchlicher Prozess“ (ebd., S. 28).
Juristische Dimension: Enteignung ohne demokratische Legitimation
Ein zentrales Merkmal der Bodenreform war die Festlegung einer starren Enteignungsgrenze bei 100 Hektar. Wer 101 Hektar oder mehr besaß, wurde vollständig enteignet, während Eigentümer mit 99 Hektar oder weniger ihr Land behalten konnten – sofern keine zusätzlichen Belastungen, etwa durch NSDAP-Mitgliedschaft, vorlagen. Diese Grenze wurde durch die Provinzialverordnungen formalisiert und diente als pauschales Kriterium, ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Nutzung, soziale Verantwortung oder regionale Struktur des Gutsbetriebs. Historiker wie Ulrich Kluge kritisieren die Regelung als juristisch problematisch und sozial pauschalierend. Auch Fritz Reinert hebt hervor, dass die starre 100-Hektar-Grenze in der Praxis häufig als willkürlich empfunden wurde, insbesondere dann, wenn nur geringe Unterschiede im Flächenbesitz über Enteignung oder Eigentum entschieden (Reinert 2023, S. 21).
Ein wesentliches Defizit der Bodenreform bestand in ihrer rechtlichen Konstruktion und dem völligen Fehlen rechtsstaatlicher Verfahren. Die Enteignungen erfolgten ohne gesetzliche Grundlage durch ein demokratisch legitimiertes Parlament. Stattdessen wurden sie durch sogenannte Bodenreformverordnungen vollzogen, die von den Provinzialverwaltungen erlassen wurden – Verwaltungsorgane, die nicht gewählt, sondern direkt von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) eingesetzt worden waren. Diese Exekutivanordnungen waren nicht nur demokratisch nicht legitimiert, sondern unterlagen auch keinerlei parlamentarischer Kontrolle oder unabhängiger juristischer Überprüfung.
Die betroffenen Eigentümer hatten weder rechtliches Gehör noch eine Möglichkeit, Rechtsmittel gegen die entschädigungslose Enteignung einzulegen. Anders als in westlichen Nachkriegsregelungen – etwa dem Lastenausgleichsgesetz – wurde keine Entschädigung für den Verlust von Grund und Boden vorgesehen. Damit stellte die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone einen eklatanten Bruch mit fundamentalen Grundsätzen des Eigentumsschutzes dar. Zwar wurde das Vorgehen rückwirkend durch Artikel III des SMAD-Befehls Nr. 209 vom 9. September 1947 formal bestätigt, doch auch dieser Befehl war kein Gesetz im rechtsstaatlichen Sinne, sondern ein administrativer Hoheitsakt der Besatzungsmacht. Die Ersetzung von Recht durch Befehl unterstreicht die autoritäre Struktur des Reformprozesses.
Enteignung ohne Rechtsstaat: Zur juristischen Problematik der Bodenreform 1945
Aus heutiger Perspektive stellt das Vorgehen bei der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) einen gravierenden Verstoß gegen fundamentale Eigentumsgarantien dar, wie sie in Artikel 14 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sowie in Artikel 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert sind. Diese Normen schützen das individuelle Eigentum vor willkürlicher staatlicher Enteignung und verlangen, dass Eingriffe in Eigentumsrechte nur auf gesetzlicher Grundlage, unter Wahrung rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien und in der Regel gegen angemessene Entschädigung erfolgen. All diese Voraussetzungen wurden im Zuge der Bodenreform missachtet.
Die Enteignungen erfolgten pauschal, ohne gerichtliche Einzelfallprüfung, ohne Möglichkeit des Rechtsschutzes und vor allem ohne jegliche Entschädigungsregelung. Diese Praxis diente dem politischen Ziel der vollständigen Beseitigung der wirtschaftlichen Basis des preußischen Adels und des großbäuerlichen Grundbesitzes. Die Maßnahme war damit nicht nur wirtschafts- und gesellschaftspolitisch motiviert, sondern auch ein gezielter Eingriff zur Umstrukturierung der Besitzverhältnisse unter ideologischen und machtpolitischen Vorzeichen. Die entschädigungslose Enteignung stellte somit keinen bloßen Verwaltungsakt, sondern einen bewussten Bruch mit dem traditionellen Eigentumsbegriff dar – zugunsten eines neuen, kollektivistischen Ordnungsmodells sowjetischer Prägung.
Erst Jahrzehnte später, im Zuge der deutschen Wiedervereinigung, kam es zu einer rechtlichen Auseinandersetzung um die Fortgeltung oder Rückabwicklung dieser Maßnahmen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 1991 (BVerfGE 84, 90 ff.), dass die in der SBZ durchgeführten Bodenreformen nicht rückgängig gemacht werden müssten, da sie auf Grundlage eines damals geltenden eigenständigen Rechtssystems erfolgt seien und aus Gründen der Rechtssicherheit und des sozialen Friedens Bestand haben sollten. Diese Sichtweise wurde jedoch auf internationaler Ebene nicht vollständig geteilt.
Im Urteil „Jahn u. a. gegen Deutschland“ vom 22. Januar 2004 (Nr. 46720/99) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest, dass bestimmte Enteignungen – insbesondere in Fällen, in denen weder eine Rückgabe noch eine angemessene Entschädigung erfolgte – gegen Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK verstoßen haben. Der EGMR stellte klar, dass auch ein Staat im Umbruch nicht von seiner Verpflichtung entbunden ist, Grundrechte zu wahren. Das Urteil kritisierte insbesondere das Fehlen eines fairen Ausgleichsmechanismus und die mangelnde individuelle Verhältnismäßigkeitsprüfung.
Diese juristische Aufarbeitung wirft ein scharfes Licht auf die tieferliegende Problematik der Bodenreform: Sie war nicht nur ein Mittel zum sozialen Umbruch, sondern auch ein tiefgreifender Bruch mit den rechtsstaatlichen Prinzipien individueller Eigentumsgarantie und legaler Enteignung. Das Ergebnis war ein rechtlicher Ausnahmezustand unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit – legitimiert durch das Besatzungsregime, aber aus rechtsstaatlicher Sicht hoch problematisch. Die Bewertung durch internationale Gerichte wie den EGMR zeigt, dass der Verzicht auf rechtliche Absicherung auch in langfristiger Perspektive nicht folgenlos bleiben kann. Die Bodenreform bleibt somit ein exemplarisches Beispiel für die Spannung zwischen politisch motivierter Strukturveränderung und rechtstaatlicher Normbindung.
Gesellschaftlicher Wandel und Reaktionen in der Bevölkerung
Die Bodenreform bewirkte einen tiefgreifenden Wandel der sozialen Verhältnisse auf dem Land. Viele landlose Arbeiterfamilien, Flüchtlinge und ehemalige Landarbeiter erhielten erstmals eigenen Grundbesitz. Diese Neubauern erfuhren dadurch einen erheblichen sozialen Aufstieg und wurden zu Trägern eines neuen politischen Selbstverständnisses im ländlichen Raum. Gleichzeitig brachte die plötzliche Übertragung von Eigentum an Menschen ohne landwirtschaftliche Erfahrung erhebliche strukturelle Probleme mit sich: Es fehlte an Maschinen, Zugtieren, Betriebskapital und oftmals auch am nötigen agronomischen Wissen. Die zugesagten Hilfen – etwa durch Maschinen-Ausleihstationen (MAS) oder Beratung – kamen vielfach zu spät oder in unzureichendem Umfang.
Reinert schildert, dass die Reaktionen der Bevölkerung ausgesprochen ambivalent ausfielen. Während viele die Umverteilung als historischen Ausgleich empfanden, äußerten sich auch Misstrauen, Unbehagen und offene Ablehnung – besonders dort, wo die Enteignungen als moralisch nicht gerechtfertigt galten oder persönlich als ungerecht empfunden wurden (Reinert 2023, S. 24). Dies betraf insbesondere Fälle, in denen unbelastete, sozial angesehene Gutsbesitzer ohne erkennbare politische Gründe enteignet wurden. Die Auswahl der Bodenempfänger wurde häufig als willkürlich kritisiert, vor allem wenn Parteimitglieder oder linientreue Funktionäre bevorzugt wurden. Dadurch kam es zu langfristigen Spannungen innerhalb der Dorfgemeinschaften, die bestehende Vertrauensstrukturen zerstörten und in manchen Fällen zu Isolation oder Abwanderung führten.
Zudem ergaben sich neue soziale Spannungen zwischen Altbauern, die ihre wirtschaftliche Existenz durch die Reform bedroht sahen, und den neuen Eigentümern, die als Nutznießer einer politisch motivierten Umverteilung wahrgenommen wurden. Diese Polarisierung wurde später durch die Kollektivierung noch verschärft, da viele der Neubauern ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit nach wenigen Jahren wieder verloren.
Kollektivierung und wirtschaftliche Langzeitwirkung
Von der Bodenreform führte der Weg in den 1950er Jahren schrittweise zur Kollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft. Die zunächst eigenständig wirtschaftenden Neubauern wurden zunehmend in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) überführt. Diese Entwicklung bedeutete für viele ehemalige Bodenempfänger eine erneute Entfremdung vom Eigentum, da sie ihren Grund und Boden zur kollektiven Nutzung einbringen mussten. Während einige Genossenschaften, wie die spätere Agrargenossenschaft in Plänitz, wirtschaftlich erfolgreich wurden, führte die Kollektivierung in anderen Regionen zu Produktivitätsverlusten, Unzufriedenheit und Abwanderung.
Die Kollektivierung lässt sich dabei in drei Phasen unterteilen: eine Phase der vorsichtigen Einleitung (1945–1952), erste Zwangsversuche (1952–1956), die nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 abgebrochen wurden, und eine forciert durchgesetzte Abschlussphase (1959–1960). Ulbricht verkündete schließlich das „vollgenossenschaftliche Dorf“ als Leitbild der sozialistischen Landwirtschaft. Infolge massiver Zwangsmaßnahmen verloren viele Bauern ihre wirtschaftliche und soziale Existenzgrundlage. Dies hatte nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern veränderte auch das soziale Gefüge der ländlichen Gesellschaft grundlegend.
Sozialpsychologisch führte die Zwangskollektivierung zu einer tiefen Entwurzelung vieler Bauernfamilien. Die Umstellung vom selbstbestimmten Wirtschaften auf kollektive Arbeitsformen wurde vielfach als Verlust von Würde, Identität und generationsübergreifendem Familienbesitz empfunden. Die staatlich gelenkten LPGs waren zudem häufig ineffizient organisiert und litten unter mangelnder Motivation ihrer Mitglieder.
Nach 1990 geriet die Erinnerung an die Kollektivierung vielfach zum Symbol kommunistischer Repression. Die juristische Aufarbeitung mündete 2004 im Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der die Enteignung ehemaliger Bodenempfänger als menschenrechtswidrig bewertete. Damit wurde der Weg für eine Rehabilitierung und teilweise Rückgabe enteigneter Flächen an die Erben der Neubauern eröffnet. Die Agrarstruktur Ostdeutschlands ist bis heute geprägt von den Folgen dieses historischen Eingriffs.
Historische und juristische Neubewertung nach 1990
Erst Jahrzehnte nach der Bodenreform, im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1990, trat die Frage nach der rechtlichen Bewertung und möglichen Rückabwicklung der Enteignungen erneut auf die politische und juristische Agenda. Dabei ging es nicht nur um Restitutionsforderungen ehemaliger Eigentümer, sondern auch um eine grundlegende Bewertung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen im Lichte eines wiederhergestellten demokratischen Rechtsstaates.
Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil vom 23. April 1991 (BVerfGE 84, 90 ff.) fest, dass die in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführten Enteignungen im Rahmen eines damals eigenständigen, nicht grundgesetzgebundenen Rechtssystems erfolgt seien. Eine Rückabwicklung sei weder juristisch zwingend noch politisch geboten. Das Gericht betonte die Bedeutung von Rechtssicherheit, sozialem Frieden und der Anerkennung historischer Fakten. Eine Korrektur jahrzehntealter Eigentumsverhältnisse würde neue Ungerechtigkeiten erzeugen und die gesamtgesellschaftliche Integration gefährden.
Diese Sichtweise war jedoch nicht unumstritten – vor allem auf internationaler Ebene. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befasste sich 2004 mit der Beschwerde dreier Klägerinnen (u. a. Frau Jahn), die nach der Wende ihr im Zuge der Bodenreform erhaltenes Eigentum wieder verloren hatten. Der EGMR urteilte am 22. Januar 2004 (Jahn u. a. gegen Deutschland, Nr. 46720/99), dass die Enteignung unter bestimmten Umständen mit Artikel 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar sei. Insbesondere bemängelte das Gericht das Fehlen eines fairen Ausgleichs und die mangelnde Verhältnismäßigkeit der Eingriffe. Zwar erkannte es die Sonderstellung der deutschen Wiedervereinigung an, doch forderte es eine differenziertere Prüfung individueller Betroffenheit und rechtlicher Folgewirkungen.
Verfassungsgerichtliche Bewertung und politische Parallelen
Zugleich stellt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1991 ausschließlich rechtsdogmatisch argumentierte oder auch politischen und fiskalischen Zielsetzungen der Bundesregierung Raum ließ. Zwar finden sich im Urteil keine direkten Hinweise auf ökonomische Motive, doch weisen Juristen wie Detlef Löhnig (2005, S. 247) auf eine politische Vorstrukturierung der Rechtsprechung hin, die mit den fiskalischen Interessen der Bundesrepublik – insbesondere der Verwertung des Treuhandvermögens – kompatibel war. Peter-Alexis Albrecht und Hans Michael Heinig erkennen eine deutliche Zurückhaltung des Gerichts, das sich der staatlichen Strategie der Entlastung durch Einnahmen aus der Privatisierung nicht entgegengestellt habe (NJW 2001, S. 1861). Auch die Kommission „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ betonte in ihrem Bericht von 1998, dass ökonomische Interessen bei der Gestaltung der Restitutionspolitik in den 1990er Jahren eine bedeutende Rolle spielten. Eine direkte Einflussnahme ist nicht belegbar, doch die strukturelle Parallelität zwischen verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung und bundespolitischer Strategie bleibt ein zentraler Kritikpunkt in der juristischen und historischen Aufarbeitung.
Der Legitimator: Besonders auffällig ist dabei die Rolle von Roman Herzog, der als Berichterstatter und späterer Präsident des Bundesverfassungsgerichts das Urteil von 1991 maßgeblich prägte. Herzog betonte die Notwendigkeit von Rechtssicherheit und sozialem Frieden und sprach sich gegen eine Rückabwicklung der Enteignungen aus – auch mit Verweis auf die Eigenständigkeit des SBZ-Rechts. Diese Argumentationslinie entsprach in ihrer Wirkung der politischen Linie von Bundeskanzler Helmut Kohl, der auf eine Verwertung der Bodenreformgüter durch die Treuhandanstalt setzte. Die Rückgabe größerer Flächen hätte die fiskalischen Ziele der Bundesregierung gefährdet und die Treuhandverkäufe blockiert.
Der Strategiegeber: Helmut Kohl verfolgte nach der Wiedervereinigung eine konsequente Strategie der haushaltspolitischen Konsolidierung, bei der die Privatisierung des volkseigenen Vermögens als zentraler Baustein zur Finanzierung des „Aufbaus Ost“ diente. Eine großflächige Rückgabe der enteigneten Güter hätte dieses Ziel infrage gestellt und sowohl rechtlich als auch politisch neue Konflikte aufgeworfen. Dass das Bundesverfassungsgericht unter Herzogs maßgeblicher Mitwirkung keine Rückabwicklung forderte, entsprach nicht nur juristisch dem Verweis auf vergangenes Besatzungsrecht, sondern stabilisierte zugleich die politische Strategie der Bundesregierung.
Der Architekt: Auch Wolfgang Schäuble, der als damaliger Bundesinnenminister den Einigungsvertrag verhandelte, spielte in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Er war maßgeblich an der rechtlichen Konstruktion beteiligt, nach der die in der SBZ durchgeführten Enteignungen als dauerhaft irreversibel gelten sollten. Der Einigungsvertrag verzichtete bewusst auf einen umfassenden Restitutionsanspruch für frühere Eigentümer enteigneter Güter, obwohl einzelne Enteignungen – etwa von antifaschistischen Gutsbesitzern – völkerrechtlich zweifelhaft erschienen. Schäuble rechtfertigte diese Linie mit dem Argument der gesellschaftlichen Stabilität und verwies auf das „Primat des sozialen Friedens“ in der Wiedervereinigungspolitik. In Verbindung mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und der Privatisierungspolitik der Regierung Kohl ergibt sich ein kohärentes strategisches Geflecht: Die politische Linie wurde durch juristische Argumentation gestützt und ermöglichte so die fiskalisch motivierte Verwertung der enteigneten Flächen.
Die Kombination aus bundespolitischer Festlegung (Kohl), verfassungsgerichtlicher Stabilisierung (Herzog) und verhandlungstechnischer Absicherung im Einigungsvertrag (Schäuble) machte eine Rückgabe politisch und rechtlich nahezu unmöglich – obwohl sie, wie vielfach betont, juristisch durchaus möglich gewesen wäre.
Wirtschaftliche Effizienz der Verwertung in Zweifel gezogen
Obwohl die Verwertung der Bodenreformflächen durch die Treuhandanstalt fiskalisch motiviert war, konnten die erhofften Einnahmen vielfach nicht realisiert werden. Gerade im Agrarsektor blieben Verkaufserlöse deutlich hinter den Erwartungen zurück. Studien zeigen, dass zahlreiche Betriebe unter Wert verkauft, mit Subventionen gestützt oder langfristig verpachtet werden mussten (Steiner 2004, S. 209). Der Bundesrechnungshof bemängelte die Ineffizienz und geringe Transparenz der Verwertungsverfahren. Auch die Politik räumte rückblickend ein, dass die Treuhand gerade bei der landwirtschaftlichen Privatisierung kaum fiskalischen Nutzen erzielte. Damit stellt sich rückblickend die Frage, ob eine differenzierte Rückgabepolitik – zumindest für verfügbare Treuhandflächen – nicht gerechter und volkswirtschaftlich sinnvoller gewesen wäre.
Defizitäre Gesamtbilanz der Treuhand und ihrer Nachfolgeeinrichtungen
Die fiskalische Gesamtbilanz der Treuhandanstalt fällt nach heutigem Forschungsstand klar negativ aus. Während die Veräußerungserlöse des volkseigenen Vermögens – einschließlich der landwirtschaftlichen Flächen – bei etwa 50 bis 60 Milliarden D-Mark lagen, beliefen sich die Gesamtkosten (Altlasten, Sozialpläne, Betriebsschließungen, Verwaltungsaufwand) auf mehr als 300 Milliarden D-Mark. Das offizielle Defizit der Treuhand betrug damit über 250 Milliarden D-Mark (Treuhand-Schlussbericht 1994, S. 37f.). Auch die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) konnte trotz jahrzehntelanger Tätigkeit keine nennenswerten Haushaltsentlastungen erzielen. Der Bundesrechnungshof kritisierte in mehreren Berichten die Ineffizienz und hohen operativen Kosten. Der Historiker Marcus Böick resümiert: „Die fiskalische Bilanz der Treuhand war eindeutig negativ. Die Hoffnung, durch schnelle Privatisierung Haushaltsmittel zu erwirtschaften, hat sich nicht erfüllt“ (Böick 2018, S. 301). Die Rückgabe enteigneter Flächen wäre nicht nur rechtlich möglich, sondern womöglich auch wirtschaftlich vorteilhafter gewesen.
Interessenvertretung durch Betroffenenorganisationen
Gleichwohl regte sich Widerstand gegen diese politische und juristische Fixierung. Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen e. V. (AfA) und die Interessengemeinschaft der in der Ostzone enteigneten landwirtschaftlichen Betriebe (IGELB) traten in den 1990er Jahren öffentlich und juristisch für die Rechte der enteigneten Eigentümer ein. Die AfA war bereits seit den 1950er Jahren als Stimme der Betroffenen aktiv und intensivierte nach 1990 ihre Lobbyarbeit, nahm Stellung zu Gesetzesentwürfen, beteiligte sich an Anhörungen und veröffentlichte Stellungnahmen.
Die IGELB dokumentierte zahlreiche Fälle von nicht erfolgter Rückgabe trotz Verfügbarkeit der Flächen über die Treuhand oder BVVG und initiierte Klagen, auch vor internationalen Instanzen wie dem EGMR. Beide Organisationen machten deutlich, dass eine Rückübertragung rechtlich möglich gewesen wäre – politisch jedoch nicht gewollt war. Trotz dieser Aktivitäten blieben die Erfolge begrenzt: Die mediale Resonanz war schwach, die öffentliche Debatte wurde von anderen Transformationsthemen dominiert, und zentrale Akteure wie Bundesregierung, Verfassungsgericht und Treuhand hielten an der eingeschlagenen Linie fest. Dennoch leisteten diese Gruppen einen wichtigen Beitrag zur historischen und juristischen Aufarbeitung des Themas.
Obwohl die organisierten Vertreter der enteigneten Eigentümerfamilien letztlich keinen politischen Kurswechsel herbeiführen konnten, erzielten sie einzelne juristische Achtungserfolge – insbesondere durch Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dort wurden Teile der DDR-Enteignungen als menschenrechtswidrig gewertet und der Umgang der Bundesrepublik mit bestimmten Restitutionsfällen kritisiert. Diese Erfolge hatten zwar meist keinen direkten Rückgabeeffekt, setzten aber internationale Maßstäbe in der Eigentumsrechtsprechung. Darüber hinaus trugen die Aktivitäten von AfA und IGELB wesentlich zur Aufrechterhaltung des Themas in wissenschaftlichen, rechtspolitischen und historischen Debatten bei. Ihre Analysen, Fallstudien und juristischen Gutachten haben die Grundlage für eine spätere kritische Aufarbeitung gelegt – auch wenn diese bislang eher außerhalb des medialen und politischen Mainstreams stattfand.
Mediale Unsichtbarkeit eines verfassungspolitischen Konflikts
Die mediale Zurückhaltung in Bezug auf die juristischen und politischen Nachwirkungen der Bodenreform von 1945 – insbesondere die Nicht-Rückgabe enteigneter Flächen nach 1990 – lässt sich durch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren erklären:
- Dominanz der „Erfolgserzählung Wiedervereinigung“: Die politische Leitnarrative vom „gelungenen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik“ prägte die 1990er Jahre. Kritische Themen wie die Enteignungsfrage galten schnell als störend für die nationale Integrationsrhetorik.
- Komplexität des Themas: Die Bodenreformnachwirkungen sind juristisch, historisch und wirtschaftlich komplex. Medien bevorzugen oft einfacher zu vermittelnde Konflikte.
- Politische Tabuisierung: Eine offene Debatte hätte die fiskalische Strategie der Bundesregierung gefährdet. Medien hielten sich mit Kritik zurück, auch um Zugänge zu politischen Akteuren nicht zu gefährden.
- Schwache Betroffenenorganisationen: Gruppen wie AfA und IGELB hatten kaum mediale Durchschlagskraft oder politische Netzwerke. Dadurch fehlte Sichtbarkeit.
- Konkurrenz anderer Themen: Massenarbeitslosigkeit, Rentenangleichung oder Stasi-Aufarbeitung dominierten die Debatte. Die Enteignungsfrage wurde an den Rand gedrängt.
Diese Faktoren führten dazu, dass ein verfassungspolitisch brisantes Thema über Jahrzehnte hinweg medial weitgehend unsichtbar blieb – mit Folgen für die öffentliche Erinnerung und rechtsstaatliche Aufarbeitung.
Das Flächenerwerbsprogramm – Symbolische Anerkennung ohne Rückgabe
Als politischer Kompromiss wurde im Jahr 1996 das sogenannte Flächenerwerbsprogramm initiiert, das ehemaligen Eigentümerfamilien die Möglichkeit eröffnen sollte, begrenzte Flächen aus dem BVVG-Bestand zu bevorzugten Konditionen zu erwerben. Es war als symbolische Geste der Wiedergutmachung gedacht – jedoch keineswegs als Restitution im engeren Sinn. Die angebotenen Flächen lagen häufig weit entfernt vom historischen Besitz, waren strukturell benachteiligt oder nur schwer landwirtschaftlich nutzbar. Zudem war das Kontingent stark limitiert und an zahlreiche Bedingungen geknüpft. Viele Betroffene lehnten das Programm daher ab oder konnten es praktisch nicht nutzen. In der Rückschau wird das Flächenerwerbsprogramm vielfach als politisches Feigenblatt gewertet: Es ermöglichte es der Bundesregierung, auf Druck der Betroffenenorganisationen zu reagieren, ohne von der grundsätzlichen Linie der Nicht-Rückgabe abzuweichen. Die strukturellen Ursachen der damaligen Enteignung blieben damit unangetastet, ebenso wie die fiskalischen Interessen des Bundes.
Aktuelle kritische historische Aufarbeitung
In den letzten Jahren ist eine verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Bodenreform in der SBZ sowie der juristischen und politischen Behandlung nach 1990 zu beobachten. Insbesondere Historiker wie Marcus Böick haben die Rolle der Treuhandanstalt in einem breiteren politischen und wirtschaftsgeschichtlichen Kontext neu bewertet. In seiner 2018 erschienenen Monografie beschreibt Böick die fiskalische Bilanz der Treuhand als klar negativ und betont, dass die Hoffnung auf nachhaltige Haushaltsentlastung durch Bodenverkäufe weitgehend illusionär gewesen sei. Auch die juristische Forschung, etwa durch Detlef Löhnig, Hans Michael Heinig oder Peter-Alexis Albrecht, hat zunehmend den politisch-strategischen Charakter der verfassungsgerichtlichen Urteile und Gesetzgebung in den 1990er Jahren herausgearbeitet.
Zugleich rücken neue Studien das Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit stärker in den Fokus. Die Frage, ob eine differenzierte Rückgabe zumindest treuhänderisch verwalteter Flächen rechtlich und wirtschaftlich möglich und sinnvoll gewesen wäre, wird heute offener diskutiert als in den unmittelbaren Jahren nach der Wiedervereinigung. Dabei wird die enge Verzahnung zwischen fiskalischen Interessen, verfassungsrechtlicher Argumentation und politischer Opportunität als strukturelles Problem herausgearbeitet, das weit über Einzelfälle hinausweist.
Diese Aufarbeitung bleibt allerdings weitgehend auf den akademischen Raum beschränkt. In der politischen Öffentlichkeit hat bislang keine tiefgreifende Neubewertung der Bodenreformnachwirkungen stattgefunden. Gleichwohl legt die jüngere Forschung nahe, dass eine kritische Reflexion der damaligen Entscheidungen nicht nur juristisch, sondern auch erinnerungskulturell notwendig ist – gerade im Hinblick auf die gesellschaftlichen Langzeitfolgen für Ostdeutschland.
Fazit
Die Bodenreform von 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone war weit weniger ein demokratischer Neubeginn als ein machtpolitisches Instrument zur Umgestaltung der ländlichen Gesellschaft im Sinne der Besatzungsmacht. Zwar griff sie ein reales Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit auf – insbesondere bei landlosen Arbeitern, Flüchtlingen und Verfolgten des NS-Regimes –, doch die Umsetzung folgte keinem rechtsstaatlichen oder partizipativen Verfahren. Stattdessen diente die Reform vorrangig der Zerschlagung der ökonomischen und sozialen Basis des preußischen Großgrundbesitzes sowie der Etablierung zuverlässiger Herrschaftsstrukturen durch politische Selektion und ökonomische Abhängigkeit.
Die Bodenreform war Teil einer umfassenden Strategie der Herrschaftssicherung und Systembildung unter sowjetischer Kontrolle. Die Instrumentalisierung demokratischer Begriffe wie „Volksentscheid“ oder „Dorfversammlung“ verschleierte eine autoritäre Praxis, in der Eigentumsrechte, lokale Entscheidungsfreiheit und rechtsstaatliche Prinzipien systematisch ausgehebelt wurden. Die langfristigen Folgen reichten von der Entstehung neuer sozialer Spannungen über ökonomische Ineffizienz bis hin zur schrittweisen Re-Kollektivierung, die viele der ursprünglichen Neubauern wieder entrechtete.
Auch die juristische Aufarbeitung nach 1990 war geprägt von Spannungen zwischen dem Wunsch nach Rechtskontinuität und dem Anspruch auf Gerechtigkeit für die einst Enteigneten. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1991, das eine Rückgabe der enteigneten Güter ausschloss, lässt sich nicht nur rechtsdogmatisch deuten – vielmehr zeigt sich eine strukturelle Nähe zur fiskalischen Strategie der Bundesregierung, die über die Treuhandanstalt Einnahmen aus dem volkseigenen Vermögen erzielen wollte. Dass dieses Ziel weitgehend verfehlt wurde, verdeutlichen die defizitäre Gesamtbilanz der Treuhand und die kritischen Berichte des Bundesrechnungshofs. Gerade die landwirtschaftlichen Betriebe brachten weder kurzfristige Erlöse noch nachhaltige ökonomische Effekte. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass die Bodenreform vielen zuvor marginalisierten Gruppen erstmals gesellschaftliche Teilhabe ermöglichte – auch wenn diese Errungenschaften später durch politische Vereinnahmung relativiert wurden.
Eine differenzierte historische Betrachtung, wie sie Fritz Reinert (2023) mit seiner autobiografisch gestützten, zugleich quellennahen Analyse vorlegt, bleibt unverzichtbar: Sie macht deutlich, wie eng idealistische Hoffnung, politische Manipulation und autoritärer Zugriff in der Transformationsphase nach 1945 miteinander verwoben waren. Zugleich wird sichtbar, wie die politische und ökonomische Aufarbeitung nach 1990 erneut Interessenabwägungen unterlag – mit langfristigen Folgen für das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der deutschen Einheit.
Sigurd Graf von der Schulenburg und die Bodenreform 1945
Wie Sigurd Graf von der Schulenburg die Bodenreform und Besatzung 1945 erlebte. Das Tagebuch des Sigurd Wilhelm Christoph Daniel Graf von der Schulenburg aus dem Jahr 1945 dokumentiert ein eindringliches und zugleich ambivalentes Zeugnis über den Umgang mit der sowjetischen Besatzung und die Erfahrungen im Kontext der Bodenreform. Geprägt von tiefer Angst vor der heranrückenden Roten Armee, erwartete er Plünderungen, Gewalt und Deportationen – Ängste, die sich aus NS-Propaganda, Augenzeugenberichten und realen Erfahrungen in den Ostgebieten speisten. Besonders groß war die Sorge um die weiblichen Familienmitglieder und um den Verlust des Gutsbesitzes, der in seiner Familie über Jahrhunderte verankert war.
Die tatsächliche Ankunft der sowjetischen Soldaten verlief zunächst unerwartet ruhig. Schulenburg registrierte disziplinierte Einheiten, die einkauften und bezahlten, und vermerkte sogar den Verweis auf Stalins Plünderungsverbot. Doch bald überwogen erneut Erfahrungen von Willkür, Festnahmen, Tauschhandel unter Zwang und eigentumsfeindlichem Verhalten sowjetischer Soldaten, die er als „organisierte Willkür“ deutete. Der Verlust von Eigentum und Kontrolle über das eigene Leben wurde dabei als fundamentaler Bruch mit bisherigen Ordnungsprinzipien wahrgenommen.
Die angekündigte Bodenreform, die zur entschädigungslosen Enteignung seines Guts führen sollte, erschien Schulenburg nicht nur als wirtschaftliche Katastrophe, sondern als Ausdruck eines ideologisch motivierten Umsturzes, der die Grundlagen des bisherigen Lebens zerstörte. Dennoch versuchte er, das Geschehen auch theologisch-moralisch zu deuten: Die sowjetische Herrschaft erschien ihm als eine Prüfung und Strafe für die Verfehlungen des Nationalsozialismus – ein Werkzeuge Gottes zur Läuterung des deutschen Volkes.
Insgesamt dokumentiert das Tagebuch nicht nur die äußeren Vorgänge, sondern spiegelt auch den inneren Zerfall eines alten Standesbewusstseins, das in der Bodenreform seinen endgültigen Bruch mit der Vergangenheit erlebte.
Quellen
- Reinert, Fritz: "Unter strengem Regime der Sowjets: Die Bodenreform 1945", in: Deutschland Archiv, 26.07.2023, Bundeszentrale für politische Bildung. Online: www.bpb.de/523501
- Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln 1955.
- Laufer, Jochen: Die UdSSR und die Einleitung der Bodenreform in der SBZ, in: Bauerkämper, Arnd (Hg.): Junkerland in Bauernhand?, Stuttgart 1996.
- Kellermann, Bernhard: "Tägliche Rundschau", Berlin 1946.
- Pieck, Wilhelm: Junkerland in Bauernhand, Berlin 1955.
- Kluge, Ulrich (Hrsg.): Zwischen Bodenreform und Kollektivierung, Stuttgart 2001.
- EGMR, Urteil vom 22. Januar 2004, Nr. 46344/99.