Wasserschloss Angern
Das Wasserschloss Angern wurde 1736 im Auftrag von Christoph Daniel v.d. Schulenburg im Rokoko-Stil erbaut und 1843 klassizistisch umformt.

Baupolitik, Raumordnung und Repräsentation auf dem Rittergut Angern um 1734 – Eine Analyse des "Pro Memoria" Christoph Daniel von der Schulenburg im Kontext vergleichbarer Gutsherrschaften. Das Gutsarchiv Angern überliefert mit 31-Punkte umfassenden "Pro Memoria" von 1734 (Rep. H Angern Nr. 409) ein einzigartiges Zeugnis adliger Planungspraxis im 18. Jahrhundert. Christoph Daniel von der Schulenburg, königlich sardischer General und Besitzer des Ritterguts Angern, skizziert darin die umfassende Neugestaltung seiner Besitzung. Das Dokument gewährt Einblick in eine administrative Rationalisierung, ästhetisch-repräsentative Raumgestaltung und die materiellen wie sozialen Strukturen eines barocken Gutes. Im Folgenden wird dieses Bauprogramm analysiert und mit zeitgleichen Gutsherrschaften in Brandenburg-Preußen und Norddeutschland verglichen.

Funktionale Differenzierung und Materialwirtschaft
Das "Pro Memoria" differenziert klar zwischen Neubauten aus frischem Holz (Wohnhaus, Torhaus, Kutschstall) und Wiederverwendung alter Balken für Scheune, Ställe, Vorhofhäuser und Schützenhaus zu Wenddorf. Diese differenzierte Ressourcenplanung ist typisch für ältere Adelsgüter, wie sie auch auf dem Gut Hundisburg bei Haldensleben oder dem Schloss Krumke zu beobachten ist. Dort wurde ähnlich zwischen Repräsentation und Funktion getrennt. Bemerkenswert ist der Zwang, alle Neubauten mindestens eine Elle über Bodenniveau zu errichten und mit Ziegeln zu decken. Eine vergleichbare Vorschrift findet sich in den Umbauten des Guts Alvensleben (Wolmirstedt), wo aus Hygiene- und Prestigegründen ähnliche Höhen und Dachmaterialien vorgeschrieben wurden (vgl. Denkmalverzeichnis Ohrekreis, 2001, S. 24).

Geometrie und Topographische Kontrolle
Das Ziel, den Graben in eine "linea recta" zu bringen, korrespondiert mit barocken Ordnungsprinzipien. Auch in Krüssau, wo Christoph Daniels Verwandte lebten, wurde zur gleichen Zeit die Anlage durch Begradigung und Symmetrisierung der Achsen überformt. Solche Planungen finden sich ebenfalls in der Struktur der Gutsanlage Büddenstedt oder im Ensemble von Burgscheidungen (vgl. Butenschön 2012). Die geplante Einfriedung mit blau-weiß gestrichenen Latten (Säulen blau mit weißen Knöpfen) ist hingegen keine Hausfarben-Darstellung – die tatsächliche Hausfarbe Schulenburg-Angern war rot-weiß – sondern eher Ausdruck zeittypischer Dekoration nach sächsischem oder preußischem Vorbild.

Infrastruktur, Erschließung und Soziale Segregation
Die Verlegung des Schweinehofs und des Viehganges, die Pflasterung von Hof und Wegen sowie die repräsentative Gestaltung des Brunnens mit "türmchenartigem" Aufsatz folgen nicht nur praktischen, sondern auch ästhetischen Kriterien. In Schloss Dretzel (Jerichower Land) lassen sich vergleichbare Gestaltungen des Brunnens als zentralem Repräsentationspunkt nachweisen (Bergner 1911, S. 34). 

Soziale Steuerung durch Baupolitik Bemerkenswert ist, dass der Neubau des Kruges (Gasthof) explizit als herrschaftliches Projekt bezeichnet wird. Christoph Daniel denkt darin sowohl wirtschaftlich (Pachtmodell) als auch sozialregulierend (z. B. Mindestabstand zum Viehhaus, Aufteilung in Stuben für Gäste und Logiszimmer). Die genaue Planung eines neuen Kruges – mit Wirtschaftsräumen, Fremdenzimmer, Keller und Stallung – ist ein Beispiel für gutsherrliche Monopolisierung von Infrastruktur. Dies steht in Analogie zum Gut Flechtingen, wo ebenfalls Krug und Meierei zentral vom Gut kontrolliert wurden. Ebenso bemerkenswert ist die informelle Patronage: Der Vorschlag, der Köchin und ihrer Mutter ein Vorhofhaus zuzuweisen, zeigt einen gewissen sozialen Spielraum für vertrautes Dienstpersonal. Vergleichbar ist dies mit den "Leutekammern" im Westflügel des Schlosses Krüssau, die teils familial weitergegeben wurden.

Bauvergabe, Verwaltung und Personalbindung
Das "Pro Memoria" enthält Hinweise auf eine moderne Verwaltungspraxis: Bauvergabe auf Arbeitslohn-Basis, Materialbereitstellung durch die Herrschaft, zentralisierte Lagerung wiederverwendbarer Bauteile (Fenster, Türen, Öfen etc.). Diese Praxis ist auch aus dem Inventar des Schlosses Hundisburg (1720er Jahre) dokumentiert.

Erwähnte Gebäude und ihre geplante Funktion
Die im "Pro Memoria" genannten Gebäude lassen eine klare funktionale Zonierung der Gutsanlage erkennen: Das Wohnhaus war das neue Zentrum der Herrschaft und sollte mit neuen Ziegeln bedeckt und auf ein Podest gesetzt werden, vermutlich aus Repräsentationsgründen. Das angrenzende Torhaus bildete ein Ensemble, das nach außen den Anspruch barocker Ordnung und Autorität vermittelte. Die Reit- und Kutschställe dienten dem standesgemäßen Transportwesen. Die Vorhofhäuser, die vermutlich Unterkünfte für Personal oder Handwerker enthielten, sollten – soweit möglich – mit alten Ziegeln gedeckt werden. Ställe und Scheunen wurden ebenfalls aus altem Holz errichtet. Besonders hervorzuheben ist der geplante Neubau eines Kruges (Gasthofes), der mit Logiszimmern und einem separaten Pferdestall ein wirtschaftliches und soziales Zentrum für die Gemeinde darstellen sollte. Auch das Schützenhaus in Wenddorf zeigt, dass Christoph Daniel die bauliche Erneuerung nicht auf den zentralen Gutshof beschränkte.

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Katasterplan des Gutsgeländes aus dem Jahr 1750 (Landeshauptarchiv Magdeburg)

Wasserbauliche Eingriffe und Geländeordnung
Der Wassergraben, Relikt der mittelalterlichen Wasserburg, sollte begradigt und befestigt werden. Diese Arbeiten standen in engem Zusammenhang mit der Errichtung eines neuen Wohnhauses auf der südöstlichen Insel (vgl. auch Rep. H Angern Nr. 412). Die Grabenmauern sollten nach Punkt 18 des "Pro Memoria" bis zu einer Elle über das Gelände hinausreichen.

Strategien der Kontrolle und Repräsentation
Die vorgesehene Lagerung von wertvollem Hausrat (z. B. Öfen und Schlösser) im Turmgewölbe, die genaue Planung des Eingangsbereichs mit Zierbrunnen und Zugangspflasterung sowie die Kontrolle über den Zugang zum Gut (Torhaus, Torweg) zeigen ein komplexes Zusammenspiel von Raumkontrolle und symbolischer Machtausübung. Der Einzug des neuen Herrenhauses auf der „zweiten Insel“ wird somit zur barocken Inszenierung der Herrschaft selbst.

Fazit
Das "Pro Memoria" von 1734 dokumentiert nicht nur ein singuläres Bauvorhaben, sondern stellt ein Paradebeispiel barocker Gutsherrschaftsplanung dar. Im Vergleich mit anderen Gutshöfen Mitteldeutschlands offenbart es typische Züge adeliger Rationalität, ästhetischer Repräsentation und sozialer Kontrolle. Christoph Daniel von der Schulenburg erscheint darin als exemplarischer Gutsherr seiner Zeit: militärisch geschult, wirtschaftlich effizient und architektonisch ambitioniert.

Wissenschaftlicher Kommentar
Das "Pro Memoria" ist als Quelle nicht nur wegen seines Umfangs, sondern auch durch seinen dichten Verwaltungsduktus und die Vielzahl konkreter Maßnahmen einzigartig. Es handelt sich vermutlich um eine interne Anweisung, verfasst zur Vorbereitung auf Ausschreibungen, Kontrolle von Baumaßnahmen und zur disziplinarischen Anleitung des Personals. Die Sprache ist klar normierend, teilweise apodiktisch, was auf Christoph Daniels militärische Prägung verweist. Auffällig ist die Verbindung von Detailversessenheit (z. B. genaue Farben, Formate, Abstandsmaße) mit strategischem Denken (Verlagerung des Viehwegs, Pachtmodelle). Das Schriftstück dient damit nicht nur als Planungsinstrument, sondern fungiert zugleich als Instrument der Herrschaftslegitimation durch Ordnung. Ein Vergleich mit preußischen oder sächsischen Bauinstruktionen der Zeit (etwa für das Gutswesen in der Altmark oder im Magdeburgischen) könnte die Singularität und Professionalität dieser Vorlage weiter unterstreichen.

Quellen

  • Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 409 ("Pro Memoria" 1734)
  • Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 76 (Inventar 1752)
  • Bergner, Heinrich: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Wolmirstedt, Halle 1911
  • Brülls, Holger / Könemann, Dorothee: Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt, Ohrekreis II, Petersberg 2001
  • Butenschön, Sylvia (Hrsg.): Frühe Baumschulen in Deutschland, Berlin 2012
  • Duncker, Alexander: Ländliche Wohnsitze der Ritterschaft in der preußischen Monarchie, Bd. 12 (Angern), Berlin o. J.
  • Vergleichende Fallstudien: Hundisburg, Krüssau, Dretzel, Flechtingen (siehe Denkmalverzeichnisse der Kreise)
Die Nutzung des ab 1738 neu errichteten Herrenhauses in Angern unter General Christoph Daniel von der Schulenburg lässt sich im Kontext des mitteldeutschen Landadels als exemplarisch für den funktionalen und repräsentativen Anspruch barocker Gutshausarchitektur einordnen. Analog zu anderen Adelsresidenzen dieser Zeit gliederte sich das Nutzungsschema in Wohnfunktion , administrative Nutzung , Repräsentation , Sammlungstätigkeit und symbolisch-dynastische Verankerung . Der Rundgang durch das Schloss Angern um 1750 zeigt eindrücklich, wie dieses Haus weit über seine unmittelbaren Wohn- und Verwaltungsfunktionen hinaus als architektonischer Ausdruck adeliger Identität diente. Die Räume fungierten als Träger von Macht, Bildung, Status und genealogischer Erinnerung – sorgfältig gegliedert in öffentliches Auftreten, persönliche Rückzugsräume und repräsentative Ordnung. Der Raum links neben dem Gartensaal um 1750
Das Wasserschloss Angern ist historisch gesehen eher ein Herrenhaus . Es wurde 1341 als Wasserburg auf zwei künstlichen Inseln mit einem siebenstöckigen Turm errichtet. 1631 wurde die Burg im Dreißigjährigen Krieg von kaiserlichen Truppen besetzt, durch die Schweden angegriffen und beim anschließenden Dorfbrand weitgehend zerstört. Die erhaltenen Tonnengewölbe, der Keller des Bergfrieds und Außenmauern der Hauptburg zeigen noch heute die Dimensionen der mittelalterlichen Anlage. Im Jahr 1650 fand in der ruinösen Burganlage eine Kirchenvisitation statt, bewohnt war zu dieser Zeit nur noch ein Teil.
Die bauliche Umgestaltung des Herrenhauses in Angern in den Jahren um 1843 markiert einen tiefgreifenden Wandel in der Nutzung und Raumordnung des Hauses. Unter den Nachfahren des Generals Christoph Daniel von der Schulenburg wurde das barocke Erscheinungsbild durch klassizistische Elemente überformt, die sich sowohl in der Fassadengestaltung als auch in der Raumgliederung widerspiegeln.Es dominierte eine hell verputzte Fassade und eine vereinfachte Tür- und Fensterrahmung. Diese Elemente spiegeln die Orientierung am Ideal der "edlen Einfachheit" wider, wie sie seit Winckelmann als Leitbild klassizistischer Baukunst galt. Dieser Umbau ist im Kontext der Adelsgeschichte des 19. Jahrhunderts als Ausdruck einer funktionalen Anpassung und bürgerlich geprägten Repräsentationskultur zu verstehen. Der Raum links neben dem Gartensaal um 1850
In jedem Jahrhundert erlebt die Familie von der Schulenburg und das Haus in Angern bedeutende Veränderungen, doch sie lassen sich nie entmutigen – immer wieder gelingt ein entschlossener Neuanfang gemäß dem Leitsatz "Halte fest was Dir vertraut". Bis 11. Jahrhundert , 12. Jahrhundert , 13. Jahrhundert , 14. Jahrhundert , 15. Jahrhundert , 16. Jahrhundert , 17. Jahrhundert , 18. Jahrhundert , 19. Jahrhundert , 20. Jahrhundert , 21. Jahrhundert .
Vom höfischen Tableau zur rationalisierten Wohnwelt: Die Wohn- und Funktionsräume des Schlosses Angern spiegeln in exemplarischer Weise den sozialen und kulturellen Wandel des Adels im langen 18. Jahrhundert wider. Zwischen dem Rokoko-inspirierten Repräsentationskonzept unter General Christoph Daniel von der Schulenburg (†1763), der verwaltungstechnisch durchrationalisierten Ordnung unter Friedrich Christoph Daniel (†1821) und dem klassizistischen Umbau unter Edo von der Schulenburg (ab 1841) lassen sich klare strukturelle und ästhetische Entwicklungslinien feststellen. Die verfügbaren Inventare von 1752 (Rep. H 76) und 1821 (Rep. H 79) sowie die bau- und kulturgeschichtliche Beschreibung um 1845 erlauben eine vergleichende Analyse der sich wandelnden Raumfunktionen.
Nach der Zerstörung der Burganlage von Angern im Dreißigjährigen Krieg – dokumentiert etwa 1631 durch den Einfall der Truppen Tillys – blieben nur Teile des Kellers der Vorburg und das Turmgewölbe sowie möglicherweise auch das Tonnengewölbe daneben erhalten. Aus diesen Resten entstand ab etwa 1650 ein schlichter Neubau, der baulich und funktional zwischen ruinöser Burg und barockem Schloss vermittelt. Die neue Wohnanlage umfasste drei Hauptbestandteile: das zweigeschossige Haupthaus, ein einstöckiges Nebengebäude und den dazwischenstehenden Rest des Turms. Letzterer war als solcher zwar funktionslos geworden, aber architektonisch in das Ensemble eingebunden und beherbergte immerhin noch ein bewohnbares Zimmer.
Baupolitik, Raumordnung und Repräsentation auf dem Rittergut Angern um 1734 – Eine Analyse des "Pro Memoria" Christoph Daniel von der Schulenburg im Kontext vergleichbarer Gutsherrschaften. Das Gutsarchiv Angern überliefert mit 31-Punkte umfassenden "Pro Memoria" von 1734 (Rep. H Angern Nr. 409) ein einzigartiges Zeugnis adliger Planungspraxis im 18. Jahrhundert. Christoph Daniel von der Schulenburg, königlich sardischer General und Besitzer des Ritterguts Angern, skizziert darin die umfassende Neugestaltung seiner Besitzung. Das Dokument gewährt Einblick in eine administrative Rationalisierung, ästhetisch-repräsentative Raumgestaltung und die materiellen wie sozialen Strukturen eines barocken Gutes. Im Folgenden wird dieses Bauprogramm analysiert und mit zeitgleichen Gutsherrschaften in Brandenburg-Preußen und Norddeutschland verglichen.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.