Die Südinsel der Burg Angern bildet einen eigenständigen, verteidigungsorientierten Baubereich innerhalb der mittelalterlichen Wasserburganlage. Zentraler Bestandteil ist das vollständig erhaltene Erdgeschoss des Wehrturms (Bergfried) mit zugehörigen Wirtschafts- und Lagerräumen in Form zweier Tonnengewölbe sowie einem separaten Brunnen. Die erhaltenen Befunde zeigen, dass die Südinsel im Hochmittelalter nicht lediglich einen Einzelbau trug, sondern als autarke Verteidigungs- und Versorgungseinheit konzipiert war.
Bergfried (Wehrturm) der Burg Angern
Tonnengewölbekomplex mit Zugang zum Wehrturm und Brunnen
Bestand und räumliche Struktur: Südlich an den erhaltenen Bergfried der Südinsel von Burg Angern schließt ein zweiteiliger Tonnengewölbekomplex an. Die Anlage besteht aus einer nördlichen Tonne, die in Ost-West-Richtung verläuft, und einer südlichen Tonne, deren Achse nach Nord-Süd ausgerichtet ist. Beide Gewölberäume sind funktional miteinander verbunden, wobei die nördliche Tonne direkt mit dem Wehrturm kommuniziert.
Bauweise: Das Mauerwerk des Komplexes besteht aus grob bearbeiteten, sorgfältig gesetzten Bruchsteinen, deren Verarbeitung typisch für hochmittelalterliche Wirtschaftsbauten im norddeutschen Raum ist. Die Gewölbe sind als einfache Tonnen ohne Gurte oder Rippen ausgeführt, eine Bauweise, die auf reine Funktionalität ohne repräsentative Ansprüche hinweist. Belichtung und Belüftung erfolgten über kleine Öffnungen an der Ostseite, die zum Wassergraben ausgerichtet sind und damit eine minimale Angriffsmöglichkeit von außen boten.
Funktionszuweisung der Räume: Der nördliche Tonnenraum diente primär als Verbindungszone zwischen dem Wirtschaftsbereich der Südinsel und dem Wehrturm. Der direkte Durchgang zum Turminneren befindet sich an der Nordwand der Tonne. An der Westseite ist eine heute zugemauerte Türöffnung erkennbar, die auf eine ursprünglich zusätzliche Außennutzung schließen lässt. Ebenfalls im westlichen Bereich der Tonne befindet sich der Zugang zu einem Brunnen, der verborgen hinter der westlichen Gewölbewand lag und bis in jüngste Zeit funktional genutzt wurde. Der südliche Tonnenraum setzte die Kellerstruktur nach Süden fort. Aufgrund seiner Erschließung und Form dürfte er als Vorrats- oder Lagerraum gedient haben, eine Nutzung, die für wasserburgtypische Wirtschaftszonen im 14. Jahrhundert charakteristisch ist (vgl. Burg Lenzen, Lütkens 2011).
Interpretation und Einordnung: Die räumliche Anordnung der Tonnengewölbe sowie der integrierte interne Zugang zum Wehrturm sprechen für eine ausgefeilte Verteidigungs- und Versorgungskonzeption. Der direkte, geschützte Durchgang in den Turm zeigt, dass die Beweglichkeit der Besatzung auch im Belagerungsfall vollständig erhalten blieb, ohne dass der gefährliche Außenbereich betreten werden musste. Der vorhandene Brunnen unterstreicht die bewusste Anlage einer autarken Überlebensstruktur auf der Südinsel. Vergleichbare autarke Strukturen sind für Wasserburgen des norddeutschen Hochmittelalters bekannt, etwa auf der Burg Ziesar, wo Wirtschaftsgebäude mit direkten, gesicherten Zugängen zu Wehranlagen kombiniert wurden (vgl. Dehio Brandenburg 2000), oder auf der Burg Tangermünde, wo Brunnenanlagen integraler Bestandteil der Wehrzonen waren (vgl. Dehio Sachsen-Anhalt I 1996). Die heute verschlossene Tür an der Westseite der nördlichen Tonne könnte auf eine Phase früherer Nutzung hindeuten, in der ein direkter externer Zugang existierte. Die spätere Vermauerung dieses Eingangs wäre dann Ausdruck eines gestiegenen Sicherheitsbedürfnisses, wie es auch an anderen Befestigungsanlagen nach den Erfahrungen des Spätmittelalters dokumentiert ist.
Bedeutung für die Gesamtanlage: Die Südinsel der Burg Angern stellt mit dem erhaltenen Wehrturm, den angeschlossenen Tonnengewölben und dem verborgenen Brunnen ein einzigartiges Beispiel für die ausgeklügelte Verteidigungs- und Versorgungstechnik hochmittelalterlicher Wasserburgen dar. Die vollständige Überlieferung dieser Strukturen erlaubt es, ein hochkomplexes Nutzungskonzept zu rekonstruieren, das auf völlige Autarkie im Belagerungsfall ausgerichtet war – ein Befund, der im norddeutschen Raum äußerst selten so vollständig erhalten ist. Die klare funktionale Aufteilung in Bewegungs-, Lager- und Versorgungselemente sowie die Integration eines geschützten Brunnens zeigen, dass die Südinsel nicht nur als Notverteidigungspunkt, sondern als eigenständige Lebens- und Verteidigungseinheit innerhalb der Gesamtanlage geplant wurde.
Bruchsteinmauer im Keller des Hauptgebäudes des Schlosses
Zusätzlich deuten weitere Beobachtungen auf zusätzliche, bislang nicht vollständig erfasste mittelalterliche Baustrukturen auf der Südinsel hin: Im Keller des heutigen Hauptgebäudes des Wasserschlosses Angern, das um 1745 auf älteren Fundamenten errichtet wurde bzw. einen Vorgängerbau aus dem 17. Jahrhundert umformt hat, ist m Keller Bruchsteinmauerwerk sichtbar. Dieses Bruchsteinmauerwerk unterscheidet sich klar von den barocken und klassizistischen Aufmauerungen und könnte zu weiteren mittelalterlichen Wirtschafts- oder Verteidigungsbauten gehört haben.
Zugang zum Wehrturm (Bergfried)
Ein möglicher Zugang zum Wehrturm vom Palas aus erfolgte nicht ebenerdig: Auf der Nordseite des Bergfrieds befindet sich im Erdgeschoss lediglich eine Schießscharte, jedoch keine Tür. Möglicherweise bestand eine hochgelegene Brücke, die aus dem ersten Obergeschoss des Palas zur Südinsel führte, auch wenn dafür keine baulichen Reste erhalten sind. Dies könnte möglicherweise durch eine Untersuchung der noch verschütteten Gewölbe des südlichen Palas geklärt werden.
Zusätzlich erfolgte die Erschließung des Bergfrieds über das angrenzende Tonnengewölbe, von dem aus ein Zugang zum Turminneren bestand. Diese doppelte Erschließung sicherte sowohl die Verteidigungsfähigkeit als auch die interne Beweglichkeit der Besatzung.
Die doppelte Erschließung des Wehrturms von der Südinsel aus – über das Tonnengewölbe und möglicherweise über eine hochgelegene Brücke – sicherte die vollständige Autarkie der Südinsel im Verteidigungsfall. Dies deutet klar auf eine weitergehende Bebauung hin, die über Bergfried und Wirtschaftsgewölbe hinausging und eine eigenständige, dauerhaft verteidigungsfähige Besatzung ermöglichte.
Eine archäologische und bauhistorische Untersuchung der unteren Mauerschichten könnte wertvolle Aufschlüsse über die ursprüngliche Bebauung und die vollständige Funktionsgliederung der Südinsel liefern. Die erhaltene Substanz – Bergfried, Tonnengewölbe, Brunnen sowie mögliche weitere Baureste – macht die Südinsel der Burg Angern zu einem herausragenden und ungewöhnlich gut erhaltenen Beispiel strategischer Wasserburgenarchitektur im norddeutschen Raum.
Hypothetische Brückenverbindung zwischen Palas und Bergfried
Lage und Kontext: Zwischen der Nordostecke der Südinsel (etwa 5 Meter vom Bergfried entfernt) und dem Palas auf der Nordinsel, über den Wassergraben hinweg.
Bauweise und Rekonstruktion: Bauliche Reste einer Brücke oder Brückenanbindung sind nicht erhalten. Die Annahme einer erhöhten Verbindung basiert ausschließlich auf folgender Befundlage:
- Im Erdgeschoss des Bergfrieds auf der Palasseite befindet sich nur eine Schießscharte, keine Tür.
- Der Zugang zwischen Palas und Bergfried muss daher im ersten Obergeschoss gelegen haben.
- Typologisch sind solche hochgelegenen Verbindungen bei vergleichbaren Wasserburgen üblich (vgl. Ziesar, Lenzen).
Funktion (rekonstruiert): Eine Brücke hätte eine gesicherte Verbindung zwischen dem Palas (Wohn- und Repräsentationsbereich) und dem Wehrturm ermöglicht, ohne eine direkte Bodenverbindung zu schaffen. Im Verteidigungsfall hätte die Brücke schnell entfernt oder zerstört werden können.
Bedeutung: Auch wenn die Brücke selbst hypothetisch bleibt, ergänzt die angenommene Struktur sinnvoll das Verteidigungskonzept der Gesamtanlage und belegt die hochmittelalterliche Planung einer mehrstufigen Sicherung und könnte anhand der erhaltenen Gewölbestruktur des südlichen Palas näher untersucht werden.
Gesamtbedeutung
Die Südinsel der Burg Angern bewahrt mit dem erhaltenen Bergfried, den vollständig intakten Tonnengewölben und der funktional logisch rekonstruierten Verbindung zur Hauptburg ein äußerst seltenes vollständiges Verteidigungs- und Versorgungssystem einer hochmittelalterlichen Wasserburg. Der Bauzustand erlaubt wertvolle Erkenntnisse zur Organisation und Verteidigung mittelalterlicher Burganlagen im norddeutschen Raum.
Kurz zusammengefasst
- Befunde erhalten: Bergfried erstes Geschoss, Schießscharte, Tonnengewölbe, Brunnen.
- Befunde hypothetisch: Brücke (auf Basis von Schießscharte und Funktionslogik rekonstruiert).
- Bedeutung: Herausragendes Beispiel hochmittelalterlicher Verteidigungsarchitektur einer Wasserburg.
Quellen
- Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg, München 2000.
- Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt I, München 1996.
- Lütkens, Udo: Burgen und Herrensitze in der Prignitz, Berlin 2011.
- Bergner, Heinrich: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Wolmirstedt, Magdeburg 1911.