Gut Vergunst – Struktur, Besitzgeschichte und Baugestalt eines altmärkischen Vorwerks (18. Jahrhundert): Das ehemalige Gut Vergunst, gelegen etwas außerhalb des Dorfs Angern in der Altmark, stellt ein bemerkenswertes Beispiel für die bauliche, wirtschaftliche und dynastische Integration eines mittelgroßen Vorwerks in einen größeren Gutsverband im 18. Jahrhundert dar. Als Lehnsgut im Besitz eines Zweigs der Familie von der Schulenburg wurde es 1738 von Christoph Daniel von der Schulenburg angekauft und in die Konsolidierungsstrategie des Ritterguts Angern eingegliedert. Die erhaltenen Karten, Verwaltungsakten und Inventare erlauben eine dichte Rekonstruktion seiner Besitzverhältnisse, Baugestalt und Nutzung.
Gut Vergunst im Mittelalter – Funktion, Bedeutung und territoriale Einordnung
Das altmärkische Gut Vergunst, späterer Bestandteil des Ritterguts Angern, trat in den frühen Neuzeitquellen als wirtschaftlich genutzter Vorwerkskomplex in Erscheinung. Doch seine ursprüngliche Anlageform und seine Lage nahe der Elbniederung deuten auf eine wesentlich ältere, hochmittelalterliche Funktion hin. Die baulichen Strukturen, die Topographie und die Besitzgeschichte lassen erkennen, dass Vergunst im Mittelalter weit mehr als ein Wirtschaftshof war: Es war ein befestigter Sitz mit eigenem symbolischen und funktionalen Anspruch innerhalb des niederadligen Besitzsystems der Altmark.
Besitzverhältnisse und Zuordnung zur Familie von der Schulenburg: Die architektonische Gestalt von Vergunst lässt sich auf Basis eines kartografischen Plans von 1740 aus dem Landeshauptarchiv Magdeburg erschließen. Dort ist das zentrale Gebäude – mit „I“ bezeichnet – von einem vollständig umlaufenden Wasserzug eingefasst, der nur über einen schmalen Zugang im Norden zu betreten war. Diese Insellage ist nicht nur ein landschaftliches, sondern vor allem ein sozialräumliches Ordnungsmerkmal, das typologisch der spätmittelalterlichen Wasserburg oder dem befestigten Rittersitz entspricht. In der Altmark – einem Raum dichter Grundherrschaften – war die Kombination aus zentralem Herrenhaus, Wassergraben und separatem Wirtschaftshof ein geläufiges Modell adliger Präsenz zwischen dem 14. und frühen 17. Jahrhundert.
Die Besitzverhältnisse stützen diese Deutung: Vergunst befand sich im späten Mittelalter im Eigentum der Beetzendorfer Linie der Familie von der Schulenburg, deren Hauptsitz die Burg Beetzendorf war. Als Teil einer durch Erbteilungen, Mitbelehnungen und Versorgungslösungen vielfach zersplitterten Adelsfamilie diente Vergunst mit hoher Wahrscheinlichkeit einem nachgeordneten Familienzweig als eigenständiger Sitz – nicht im Sinne eines ökonomisch genutzten Meierhofs, sondern als rechtlich abgegrenzter Beisitz mit lokalem Herrschaftsanspruch. Die architektonische Absetzung vom umgebenden Wirtschaftshof – besonders durch den Wassergraben – unterstreicht die Funktion als symbolisch aufgeladene Hofstelle mit Verteidigungs-, Aufsichts- und Repräsentationscharakter.
Funktion im Kontext der Burg Angern: Trotz der räumlichen Nähe von Gut Vergunst zur Burg Angern lässt sich keine ursprüngliche funktionale Einheit beider Anlagen nachweisen. Vielmehr spricht die Quellenlage eindeutig für ein historisch gewachsenes Nebeneinander zweier getrennter Besitzkomplexe, die verschiedenen Linien der Familie von der Schulenburg zugeordnet waren. Während die Burg Angern samt Rittergut traditionell im Besitz der sogenannten weißen Linie (abstammend von Busso von der Schulenburg) verblieb, befand sich Vergunst über Jahrhunderte hinweg im Eigentum der schwarzen Linie (Beetzendorfer Linie), die auf Bernhard von der Schulenburg zurückging. Die Entstehung dieser Konstellation beruht nicht auf bewusster dynastischer Planung innerhalb des Dorfes Angern, sondern vielmehr auf den weit verbreiteten Folgen spätmittelalterlicher Realteilung, durch die sich selbst innerhalb einzelner Ortschaften verschiedene Familienzweige mit eigenen Höfen und Gerichtsbarkeiten etablieren konnten. Die Anlage von Vergunst war demnach kein Neben- oder Zweitsitz der Angerner Hauptlinie, sondern ein eigenständiger Rittersitz mit eigener Verwaltung, Gerichtsbarkeit und symbolischer Architektur. Erst der gezielte Rückkauf des Guts durch Christoph Daniel von der Schulenburg im Jahr 1738 führte zu einer Vereinigung der beiden ehemals getrennten Linienbesitze in Angern. Die damit vollzogene Konsolidierung war weniger genealogisch als vielmehr strategisch motiviert: Sie diente der Wiederherstellung eines zusammenhängenden Territoriums, das sich bis dahin in konkurrierenden Händen innerhalb derselben Familie befunden hatte.
Gut Vergunst im 18. Jahrhundert
Anfang des 18. Jahrhunderts befand sich Vergunst noch immer im Besitz eines Beetzendorfer Schulenburg-Zweigs, namentlich des Generalmajors Adolph Friedrich Freiherr von der Schulenburg, seit 1728 Graf von der Schulenburg. Nach mehrjährigen Verhandlungen und unter Mitwirkung des Oberamtmann Croon wurde das Gut 1738 für rund 50.000 Taler an Christoph Daniel von der Schulenburg verkauft. Die Korrespondenz Croons (Gutsarchiv Angern Rep. H 336) belegt detailliert die Abläufe der Pachtübergabe, der juristischen Abwicklung (Mitbelehnung, Gesamtbeleihung) sowie die damit verbundene Neuordnung der Pächterverhältnisse. Bereits 1737 begannen Vorverhandlungen, die 1738 zur Vertragsunterzeichnung und Besitzergreifung führten. Der Kauf wurde teils mit Geldern aus dem Ausland finanziert, darunter Transfers aus Turin, die über venezianische und Leipziger Bankiers geleitet wurden.
Nach dem Ankauf wurde Vergunst dem Pächter Heinrichs übergeben, der bereits das Rittergut Angern bewirtschaftete. Die Pacht wurde auf 3.650 Taler festgesetzt, zusätzlich zu Vorstandsgeldern. In der Folgezeit wurden Flächen vermessen, Pachtanschläge neu kalkuliert, Fischereien, Wiesen, Teiche und Holznutzungen wirtschaftlich integriert. Vergunst diente fortan als funktionale Erweiterung des Gutsbetriebs von Angern und verlor mit der Zeit seine Stellung als eigenständiger Adelssitz.
Fazit
Gut Vergunst war im Mittelalter mehr als ein Gutsstandort im modernen Sinne. Es handelte sich um einen befestigten, eigenständigen Rittersitz innerhalb der weitverzweigten Besitzstruktur der Familie von der Schulenburg. Die symbolische Architekturform des wasserumwehrten Hofs, die familiäre Zugehörigkeit zur Beetzendorfer Linie und die strategische Lage in der Nähe der Burg Angern machen deutlich, dass Vergunst Teil einer mehrschichtigen, herrschaftlichen Raumordnung war. Als solches steht es exemplarisch für die territorialen Mechanismen des niederadligen Adels in der Altmark zwischen Selbstbehauptung, Verzweigung und Raumsicherung.
Quellen
- Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Magdeburg:
- Gutsarchiv Angern, Rep. H 336: Croon-Korrespondenz (1737–1739).
- Rep. H 409, Bl. 25–28: Kasseneinträge mit Turin-Zahlungen (1736–1737).
- Rep. H 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern (1752).
- Katasterplan von Angern, „Plan … der Schulenburgischen Ritter-Sitzen und Dorff Angern“, 1740.
- Danneil, Johann Friedrich: Das Geschlecht der von der Schulenburg. Bd. I–II. Salzwedel 1847.
- Leuschner, Eckhard: Niederadelige Wasserburgen der Altmark. In: Burgenforschung aus Sachsen-Anhalt, Bd. 2. Halle 2003.
- Huth, Christoph: Adelige Wohnkultur des 18. Jahrhunderts in Sachsen-Anhalt. In: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt, H. 2 (2009).