Burg Angern
Die um 1340–1350 gegründete Burg Angern bewahrt in seltener Geschlossenheit die originale Bau-, Erschließungs- und Verteidigungsstruktur einer hochmittelalterlichen Wasserburg und nimmt damit eine herausragende Stellung innerhalb der norddeutschen Burgenlandschaft ein.

Der im westlichen Bereich des Palaskellers von Angern nachgewiesene 180°-Umkehrgang stellt eine interessante Besonderheit mittelalterlicher Kellerarchitektur dar. Er verbindet zwei Gewölberäume auf gleichem Bodenniveau, ohne dass eine direkte Türverbindung zum Innenhof oder eine einfache gerade Passage bestand. Die Anlage eines gewölbten Umkehrganges diente funktionalen und bautechnischen Anforderungen, die sich auch in anderen Burgen der Region nachweisen lassen.

Primäre Funktion des Umkehrganges war es, eine geschützte, interne Erschließung zwischen den einzelnen Kellerbereichen zu ermöglichen. Eine bauliche Trennung durch Türanlagen wurde, wie in Angern sichtbar, bewusst vermieden, um die klimatische Einheitlichkeit des Lagerraumes zu bewahren und den Transport von Vorräten und anderen Materialien zu erleichtern.

Vergleiche mit Burganlagen wie Ziesar zeigen ähnliche Kellerstrukturen: Hier existiert ein tonnengewölbter Verbindungsgang zwischen dem Küchenkeller und dem zentralen Lagerbereich, der mehrfach abgewinkelt ist, um direkte Sichtachsen zu vermeiden[1]. Auch in Burg Lenzen lässt sich ein gewölbter Seitengang mit gekrümmter Führung unterhalb des Palas nachweisen[2]. In der Burg Tangermünde wiederum finden sich in den Wehranlagen Knickgänge zur Verteidigung, was zeigt, dass gebrochene Gangführungen ein überregionales Prinzip waren[3]. Die datierbaren Beispiele verweisen auf eine Entstehungszeit solcher Strukturen zwischen dem späten 13. und dem 15. Jahrhundert, eine Phase, in der die funktionale Optimierung von Kelleranlagen und Wehrbauten im Zuge neuer militärischer und wirtschaftlicher Anforderungen gesteigert wurde.

In Angern ist der 180°-Umkehrgang also Ausdruck einer funktionalen, durchdachten Kellererschließung. Seine Anlage in Verbindung mit der Bauweise der Gewölbe spricht stark für eine Entstehung im 14. oder frühen 15. Jahrhundert. Die Verwendung eines tonnengewölbten, geknickten Ganges sowie der Einsatz von Bruchsteinmauerwerk ohne barocke Umbauformen bestätigen die mittelalterliche Herkunft der Kellerstruktur. Damit zählen die Gewölbe zu den ältesten erhaltenen Bauteilen der Burg Angern. Auch die Lage des 180°-Umkehrgangs spricht eindeutig für eine Zugehörigkeit zum Palasgebäude. Seine Position auf der Ostseite der Hauptinsel, die aufwändige Bauweise mit Tonnengewölben sowie die funktionale Erschließung über mehrere Kellerabschnitte entsprechen typischen Palaskellern vergleichbarer Burgen wie Ziesar und Lenzen. Eine Zuordnung zu einem rein wirtschaftlichen Nebengebäude ist aufgrund der aufwändigen architektonischen Ausführung sehr unwahrscheinlich. Sein Vorkommen fügt sich in ein regional verbreitetes architektonisches Muster ein, das den praktischen Anforderungen mittelalterlicher Burgherrschaft entsprach.

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Massive westliche Außenwand mit Umkehrgang (links)

Grundrissanalyse: Der 180°-Umkehrgang im Palas und seine Lage im Baukörper

Der 180°-Umkehrgang im Erdgeschoss des Palas der Burg Angern weist eine asymmetrische Lage im Raum auf, die sich auf den ersten Blick schwer mit einem regularen Grundriss des Palas vereinbaren lässt. Bei genauerer Betrachtung der baulichen Situation und Perspektive lässt sich die scheinbare Unregelmäßigkeit jedoch funktional und baugeschichtlich erklären.

Die westliche Mauer des Raumes, in der sich der Gang öffnet, ist außenseitig Teil der hofseitigen Palasbegrenzung und bildet somit eine außere tragende Wand. Dass der Gang nicht mittig, sondern seitlich liegt, ist dabei keine Besonderheit. Auch in anderen Burganlagen wie Ziesar oder Lenzen verlaufen Keller- und Verbindungsgänge versetzt zur Mittelachse, um statische Anforderungen oder bestehende Wandfluchten einzuhalten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Umkehrgang in Angern innerhalb der Kubatur des Palas liegt, jedoch aus statisch-funktionalen Gründen asymmetrisch verlegt wurde. Der Palaskeller umfasst insgesamt drei Tonnengewölbe, von denen das nördlichste direkt an die Nordmauer der Hauptburg angrenzt. Dies zeigt, dass der Palas unmittelbar an der Nordseite der Anlage errichtet wurde und in Ost-West-Richtung eine erhebliche Länge aufwies. Ein kleinerer Raum mit Zugang zum Innenhof sowie eine Treppe im westlichen Bereich, die nach oben führt, vervollständigen die Kelleranlage und belegen deren direkte funktionale Anbindung an das Palasgebäude. Der scheinbare Versprung ist somit kein Hinweis auf eine Sonderlage außerhalb des Palasgebäudes, sondern Ausdruck typischer mittelalterlicher Kellerorganisation.

Bauzeitliche Struktur und funktionale Einordnung

Der sogenannte Umkehrgang im nördlichen Palaskeller der mittelalterlichen Burg Angern stellt ein bemerkenswertes Beispiel für die komplexe Raumorganisation hochmittelalterlicher Wehr- und Wohnbauten dar. Seine bauzeitliche Einbindung in die massive westliche Außenmauer des Palas verdeutlicht sowohl die planerische Raffinesse der Erbauer als auch die funktionalen Anforderungen an eine befestigte Adelsresidenz des 14. Jahrhunderts.

Bauliche Analyse

Der Umkehrgang ist als schmaler, von Beginn an geplanter Durchgang innerhalb der ca. 1,2 Meter starken westlichen Außenmauer des Palas angelegt. Er verbindet den nordwestlichen Hauptkellerraum mit einem südlich anschließenden, separaten Gewölberaum. Der Zugang erfolgt durch einen geraden Gangabschnitt, der unmittelbar nach Durchschreiten eine 180-Grad-Wendung erfordert, um in den angrenzenden Kellerraum zu gelangen. Die lichte Breite des Gangs beträgt schätzungsweise 0,2 bis 0,4 Meter, während zwischen Gang und Außenfläche der Burg noch eine massive Restmauer von etwa 0,8 bis 1,0 Metern bestehen bleibt. Das Material der Wand entspricht dem gesamten Palasbau: Bruchsteinmauerwerk, vermutlich ohne ursprüngliche Putzfassung im Kellerbereich.

Das Gewölbe des Gangs sowie der angrenzenden Räume ist später mit Ziegeln überwölbt worden, vermutlich infolge von Reparatur- oder Umbaumaßnahmen nach Kriegsschäden im 17. Jahrhundert. Der Umkehrgang selbst blieb jedoch in Grundstruktur und Verlauf erhalten.

Funktionale Einordnung

Die Anlage eines Umkehrgangs innerhalb der westlichen Außenmauer war aus mehreren Gründen sinnvoll:

  1. Innere Sicherheit: Ein direkter, gerader Zugang zwischen Keller und Hofhinterseite hätte eine Schwächung der Verteidigungsfähigkeit bedeutet. Der Umkehrgang zwang jeden Eindringling zur Richtungsänderung und verlangsamte so eine mögliche Erstürmung.

  2. Strukturelle Integrität: Trotz des Durchgangs blieb durch die verbleibende 0,8–1,0 Meter starke Restmauer die statische Tragfähigkeit der Außenmauer gewährleistet. So konnte das Tonnengewölbe und der Aufbau des Palas weiterhin sicher über der Mauer lasten.

  3. Zugangskontrolle: Der Umkehrgang diente vermutlich der internen Erschließung von Lagerräumen oder Wirtschaftszonen innerhalb des Palas, ohne eine äußere Zugangsmöglichkeit zum Innenhof zu schaffen.

  4. Klimatische Bedingungen: Der Umkehrgang ermöglichte eine gewisse Isolation der Vorratsräume, indem er Temperaturschwankungen und Feuchtigkeitseintrag vom Hof her minimierte.

Bauhistorische Bedeutung

Die Einbindung des Umkehrgangs in die massive Außenmauer und seine strategische Anordnung im Raumgefüge der Burg Angern verdeutlichen ein hohes Maß an bauzeitlicher Planungskompetenz. Solche Raumkonzepte zeigen die komplexe Verbindung von Wehrhaftigkeit, Alltagsfunktionalität und bautechnischer Erfahrung im Hochmittelalter. Die Tatsache, dass der Umkehrgang bis heute äußerlich unverändert erhalten geblieben ist, bietet wertvolle Erkenntnisse über die originale Nutzung der Burgkeller und die mittelalterliche Bauweise, insbesondere hinsichtlich der Integration von Erschließungswegen innerhalb stark belasteter Mauern.

Fazit: Der Umkehrgang im nördlichen Palaskeller von Burg Angern stellt ein einzigartiges bauliches Zeugnis dar, das die funktionale und sicherheitsarchitektonische Durchdachtheit hochmittelalterlicher Burganlagen exemplarisch illustriert. Seine Analyse trägt wesentlich zum Verständnis der komplexen Binnenstruktur und der Verteidigungsarchitektur der Burg Angern im 14. Jahrhundert bei.

Quellen

[1] Vgl. Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg. München/Berlin, 2000, S. 115 (Burg Ziesar).
[2] Vgl. Lütkens, Martin: Burg Lenzen – Baugeschichte und archäologische Befunde. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege, 2011.
[3] Vgl. Bergner, Heinrich: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen. Halle/Saale, 1911, S. 45 ff. (Tangermünde).

Im Nordosten der zweiten Insel erhob sich ein massiver, quadratischer Turm mit einer Grundfläche von 10 mal 10 Metern. Seine sieben Geschosse machten ihn zum dominanten Element der früheren Wehranlage. Die Höhenrekonstruktion des Bergfrieds der Burg Angern lässt sich auf Grundlage der bekannten Grundfläche von 10 × 10 Metern und der Überlieferung von sieben Stockwerken annähernd bestimmen. Typische hochmittelalterliche Bergfriede wiesen lichte Raumhöhen von etwa 3,0 bis 3,5 Metern auf, ergänzt um Decken- und Mauerstärken von circa 0,5 bis 0,7 Metern pro Geschoss. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Geschosshöhe von etwa 3,5 bis 4,0 Metern. Multipliziert mit sieben Etagen ergibt sich eine Turmhöhe von etwa 24,5 bis 28 Metern, zuzüglich der Höhenanteile für eine Wehrplatte, Brustwehr oder eventuelles Zeltdach. Somit dürfte der Bergfried von Angern eine Gesamthöhe von etwa 26 bis 30 Metern erreicht haben, vergleichbar mit anderen regionalen Anlagen wie dem Bergfried von Tangermünde oder Lenzen. Diese Rekonstruktion verdeutlicht die imposante Dominanz des Turmes innerhalb der Burganlage und seine zentrale Rolle im Verteidigungssystem. KI generierte Ansicht des Bergfrieds der Burg Angern ca. um 1600
Nach der Zerstörung der Burganlage von Angern im Dreißigjährigen Krieg – dokumentiert etwa 1631 durch den Einfall der Truppen Tillys – blieben nur Teile des Kellers der Vorburg und das Turmgewölbe sowie möglicherweise auch das Tonnengewölbe daneben erhalten. Aus diesen Resten entstand ab etwa 1650 ein schlichter Neubau, der baulich und funktional zwischen ruinöser Burg und barockem Schloss vermittelt. Die neue Wohnanlage umfasste drei Hauptbestandteile: das zweigeschossige Haupthaus, ein einstöckiges Nebengebäude und den dazwischenstehenden Rest des Turms. Letzterer war als solcher zwar funktionslos geworden, aber architektonisch in das Ensemble eingebunden und beherbergte immerhin noch ein bewohnbares Zimmer.
Die mittelalterliche Burg von Angern stellt ein bemerkenswertes Beispiel für die Kombination aus natürlicher Topographie und wehrarchitektonischer Anpassung dar. Grundlage der Analyse bilden topographische Befunde, schriftliche Überlieferungen sowie bauliche Relikte, die eine differenzierte Rekonstruktion der Gesamtanlage ermöglichen.
Die Burganlage von Angern in der heutigen Altmark (Sachsen-Anhalt) gehört zu den bedeutenden Wasserburgen der Altmark. Ihre Entwicklung lässt sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen, als sie im Rahmen der hochmittelalterlichen Landesausbauprozesse errichtet wurde. Die Hauptburg entstand auf einer künstlich angelegten Insel innerhalb eines doppelten Wassergrabensystems. Von der ursprünglichen Anlage ist heute vor allem die Struktur des Geländes erhalten, während die bauliche Substanz größtenteils durch kriegerische Ereignisse wie die Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg (1631) sowie durch barocke Umbauten im 18. Jahrhundert überformt wurde. Palas, Innenhof und Bergfried der Burg Angern (KI generiert)
Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg und verschiedene Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitz, Lehensrechte und lokale Macht. Die Gründung der Burg in Angern diente der Erzdiözese Magdeburg zur militärischen Sicherung und verwaltungstechnischen Kontrolle ihrer südaltmärkischen Besitzungen. Die Anlage einer Wasserburg mit Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz in einem territorial instabilen Raum.
Die Burg Angern befand sich in der nordöstlichen Altmark, etwa 5 Kilometer westlich der Elbe, in einer feuchten Niederungslandschaft, die durch zahlreiche Altarme, sumpfige Wiesen und temporäre Überflutungsflächen geprägt war. Die Wahl dieses Standorts war sowohl durch defensive als auch durch infrastrukturelle Überlegungen motiviert. Die Anlage nutzte die natürlichen Gegebenheiten der Landschaft, um durch Wassergräben, Inselbildung und kontrollierte Wegeführung ein hohes Maß an Wehrhaftigkeit zu erzielen. Zugleich ermöglichte die Lage zwischen Magdeburg, Tangermünde, Rogätz und Wolmirstedt die Einbindung in überregionale Verkehrs- und Kommunikationsnetze.
Die Besitzgeschichte der Burg Angern lässt sich ab dem 14. Jahrhundert anhand von Lehnbriefen, Pfandverträgen und erzbischöflichen Urkunden nachvollziehen. Die frühe Geschichte ist dabei durch häufige Besitzerwechsel und konkurrierende Lehnsverhältnisse geprägt, was auf die strategische Bedeutung der Anlage und den politischen Druck auf das Erzstift Magdeburg hinweist. Erstmals wird die Burg im Jahr 1343 als Besitz eines Gerlof von Brunhorcz erwähnt. Im Jahr 1363 erscheint Lüdecke von Grieben als Lehnsträger. Er war kein Angehöriger der hochadeligen Familie von Grieben, sondern ein Vasall, der deren Namen übernommen hatte – ein im Mittelalter verbreitetes Phänomen, um familiäre Zugehörigkeit oder Schutzverhältnisse zu demonstrieren. 1370 sind Lüdecke von Grieben und zwei Söhne des Ritters Jakob von Eichendorf gemeinsam mit Angern belehnt.
Die bauliche Entwicklung der Burg Angern lässt sich in mehreren Phasen vom Hochmittelalter bis zur Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg nachzeichnen. Die Anlage vereinte typische Merkmale einer wasserumwehrten Adelsburg in der norddeutschen Tiefebene: Inselfestung, Verteidigungsstruktur, Wirtschaftseinheit und Repräsentationsort. Das zentrale Element war die vollständig von Wassergräben umgebene Hauptburginsel, ergänzt durch eine südlich vorgelagerte Turminsel und eine festlandseitige Vorburg.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.